In den 90ern habe ich mal eine Reihe von Kurzgeschichten an Lübbe geschickt, von denen einige in der John Sinclair-Reihe als Horror-Story der Woche veröffentlicht wurden. Diese Geschichten darf ich nun hier einstellen. Ich hoffe, es gefällt euch die eine oder andere.
Harrys Partner von Frank Hammerschmidt
Horror-Story der Woche aus John Sinclair 3. Auflage Band 438
Der Schrei verstummte. Der eisige Blick des Mannes richtete sich auf die Räder der U-Bahn, die an ihm vorbeisauste. Dann lächelte er.
Harry hatte soeben einen brutalen Mord begangen und es war ihm nicht einmal schwer gefallen. Ein leichter Stoß hatte ausgereicht, um sich seines Partners zu entledigen. Nun brauchte er die 50000 Pfund nicht mehr zu teilen.
Sicher, er hatte viele Jahre lang hervorragend mit Burt zusammengearbeitet. Doch wie sagt man so schön: bei Geld hört die Freundschaft auf.
Und 50000 Pfund waren viel Geld für einen kleinen Gauner wie Harry, sehr viel Geld. Damit konnte man eine Menge anfangen.
Harry wurde aus seinen Gedanken gerissen. Einige Leute zeigten auf ihn. Bestimmt war bereits die Polizei unterwegs. Er musste weg von hier.
Schnell ging er die Treppen hoch, die zum Marktplatz führten. Keiner machte Anstalten ihn zu verfolgen.
Schließlich verschwand er in der Menschenmenge…
*
Harry war für einige Wochen untergetaucht. Er ließ es sich gut gehen, jedoch war das Geld bereits zur Hälfte aufgebraucht. Er hatte viel Zeit auf Rennbahnen verbracht und in einschlägigen Etablissements. Kurz, es war Harry nie besser gegangen als wie im Augenblick.
Nun stand er wieder auf jenem U-Bahnsteig, wo er vor Wochen seine grausame Tat verrichtet hatte. Niemand würde ihn erkennen. Er hatte sich seinen Bart abrasiert und die Haare gefärbt. Hinzu kam seine neue Kleidung, die ihn wie einen Geschäftsmann wirken ließ.
Harry sah auf die Uhr. Gleich müsste die U-Bahn kommen.
An der gleichen Stelle hatte er damals mit Burt gestanden. Es war sogar die gleiche Uhrzeit gewesen, wie er sich zu erinnern glaubte.
Dieser Idiot. Burt hatte ihm blind vertraut, doch das war sein Fehler gewesen.
„Harry!“
Wer hatte ihn gerufen?
Seine Tarnung war doch so gut wie perfekt.
„Harry!“ hörte er wieder die Stimme.
Harry blickte sich um. Seine Augen weiteten sich.
Es war Burt!
Er stand neben ihm und sah ihn aus toten Augen an. Sein Körper war seltsam deformiert.
Harry schluckte. „Burt, ich…ich freue mich, dich zu sehen. Du hast also diesen schrecklichen…Unfall überlebt.“
Burt schüttelte langsam den Kopf.
„Unfall“, wiederholte er, dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck und tiefer Hass lag in seinen Zügen.
Harry wich zurück, als Burt mit stockenden Bewegungen auf ihn zuschritt. Er wollte sich lieber nicht vorstellen, was Burt mit ihm vorhatte. Er drehte sich um und rannte.
Ein quietschendes Geräusch überholte ihn, die U-Bahn hielt neben ihm. Schnell stieg Harry ein.
Soweit er sehen konnte, war Burt ihm nicht gefolgt. Erschöpft ließ sich Harry auf einem Sitz nieder.
Wie konnte das nur sein? Wie konnte Burt das nur überlebt haben? Er verstand es nicht.
Nach einer Weile fasste er sich wieder. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. Ruhig überlegen, was zu tun war.
„Harry!“ flüsterte eine Stimme neben ihm.
Nein, das konnte nicht sein!
Burt saß direkt neben ihm. Und er sah gar nicht glücklich aus.
Rasch sprang Harry auf. Er bemerkte, dass der Zug langsamer wurde. Sie hatten die nächste Station erreicht. Harry drückte den Türöffner und hastete hinaus. Er musste nach oben.
Sein Herz pochte. Nie zuvor in seinem Leben war er so gerannt.
Er stolperte und fiel auf die harten Betonstufen der Treppe. Er fasste nach seinem Bein.
Ein Passant kam auf ihn zu, um zu helfen. Harry stieß ihn beiseite und humpelte die Treppe weiter nach oben.
Das unheimliche Wesen, das einmal sein Partner gewesen war, folgte ihm langsam, aber niemand schien Burt zu bemerken. Harry sah, wie er einfach durch eine Frau hindurchging und wenig später durch einen Laternenpfahl.
Ein Geist, fuhr es Harry in den Sinn. Burt musste ein Geist sein. Und er wollte Vergeltung. Harry hörte ihn wieder seinen Namen rufen. Es klang lang gezogen und unheimlich.
Harry humpelte über die Straße. Er hörte kaum das Hupen der wütenden Autofahrer. Er achtete nur auf die unheimliche Figur, die ihn verfolgte.
„Burt, laß uns doch vernünftig darüber reden! Ich gebe dir deinen Anteil, ja?“
Burt kam unbeeindruckt weiter auf ihn zu. Er streckte seine Hände nach ihm aus. Vermutlich würde er Harry nicht nur die Hand schütteln wollen. Wo konnte Harry sich nur vor ihm verstecken?
Dann plötzlich hatte er eine Idee. Es gab einen Ort, wohin ihm Burt nie folgen würde. Zielstrebig humpelte Harry weiter.
Fast eine halbe Stunde benötigte er noch, dicht gefolgt von seinem ehemaligen Partner, bis er schließlich das Gebäude erreichte, das Burt nie betreten würde.
*
Der Wasserhahn tropfte. Harry saß auf seinem Bett und lachte in sich hinein. Er hatte Burt ausgetrickst. Seit einem Jahr hatte er nun schon Ruhe vor ihm. Sicher, die Beamten hatten komisch geschaut und eindeutige Zeichen hinter seinem Rücken gemacht, als er sich selbst beschuldigte, einen Mord begangen zu haben. Zumal, da der Fall schon zu den Akten gelegt worden war.
Auch staunte sein Verteidiger nicht schlecht, als sein Mandant selbst auf die Höchststrafe plädiert hatte.
Diese Ahnungslosen, was wussten die schon.
Hier hatte er seine Ruhe, hier in seiner Gefängniszelle.
ENDE