Vor Monaten war dem hörBücher-Magazin ein Downloadgutschein beigelegt, der es erlaubte, die 6 1/2stündige Lesung des Buches Sternwanderer von Neil Gaiman gratis herunterzuladen. Bis heute ist es lediglich bei Audible erhältlich (dort gibt es auch die ersten paar Minuten als Hörprobe), und ich habe es jetzt auf mehreren Autofahrten kapitelweise angehört.
Roland Hemmo liest die Geschichte mit einer großväterlichen Erzählerstimme, die den Märchenaspekt genau wie die feine Ironie der Vorlage ausgezeichnet transportieren. Weswegen ich es aber besonders hervorheben will, ist erstens seine Leistung, die Feinheiten der Charaktere genauso überzeugend und mit dem Gespür für die richtige Pause (sehr wichtige Sprecherkunst) dem Hörer nahezubringen, und zweitens das nicht zu überschätzende Kunststück, dass Neil Gaiman da vollbracht hat.
Gute Fantasy ist (mit Verlaub) sauschwer zu schreiben. In den Jahren vor und seit der Herr der Ringe - Filmadaption ergießt sich eine unübersehbare Flut von epigonischen Werken auf den Buch- und Filmmarkt (und macht auch vor dem Hörspielmarkt nicht halt). Meistens geht es dabei um ...
ZitatOriginal von Lindequister
..."eine Prophezeiung, nach der ein Sohn/eine Tochter der XXX die sieben/fünf/achtzehn/paarundklompfzig Steine des XXX finden muss, um gegen den bööhsen XXX zu kämpfen, dabei ihm/ihr aber die sieben/fünf/achtzehn/paarundklompfzig Reiter des XXX entgegenstehen."
Etwas salopp formuliert, stimmt aber. Wieviele Orks, Elben/Elfen, Trolle und Zwerge ich in den letzten Jahren gesehen und gelesen habe? Zählt selbst. Gerade die Fantasy ist meines Erachtens genau das nicht mehr: fantasievoll. Da werden Bausteine hin und hergeschoben, als gäbe es nur ein begrenztes Spielfeld aus mythologischen Archetypen, die Klischees von sich geben dürfen. Und nicht mehr.
"Sternwanderer" erschwert sich die Aufgabe noch zusätzlich, indem es Humor mit in die Geschichte nimmt, ohne eine Persiflage oder Satire zu werden. Die Aufgabe ist es nämlich, trotz des Humors die "märchenhafte Verzauberung" nicht zu zerstören, die von der sanften Geschichte der Suche nach einem gefallenen Stern (Inhaltsangabe hier) ausgeht. Hier nicht auf die Nase zu fallen ist für mich gleichbedeutend mit einem Meisterbrief. Den stelle ich Gaiman -- hätte er ihn nötig -- allein schon auf der Grundlage dieses Buches (das er bereits 1987/1988 schrieb) aus. Vergleichbares kenne ich nur von William Goldman und seiner "Brautprinzessin".
Dass die Verfilmung den sehr wichtigen Rahmen der Liebesgeschichte von Tristans Vater wegläßt, ist schade. Der Film ist als gelungen zu bezeichnen, auch wenn die Erotik der Geschichte dem FSK 12 zum Opfer gefallen ist. Für mich ist tatsächlich die Lesung die Idealform dieses Stoffes, weil sie in einem ruhigen Rhythmus ohne Eile, aber mit vielen Überraschungen und Wendungen den Hörer mit den eigenen Bildern im Kopf bis zu dem Ende führt, das unmelancholisch, aber mit der richtigen Spur Zauber und Wehmut einmal doch an Tolkien und das Leben der Arwen nach Aragorns Tod erinnert.
Leider ist das Audible-Format mit der starken Kompression ein akustischer Dämpfer. Aber die Lesungsqualiät fängt diesen Malus glatt auf.
Sehr zu empfehlen...