Interview mit Paul Plamper

  • Paul Plamper ist Hörspielmacher aus Berlin. Er studierte von 1993 bis 1995 Theaterwissenschaften und Germanistik an der Humboldt-Universität Berlin. Als Regieassistent arbeitete er zunächst am Theater für Peter Zadek, Robert Wilson, Werner Schroeter, Heiner Müller, Martin Wuttke und hat auch selbst diverse Inszenierungen gemacht, unter anderem den noch heute laufenden Monolog mit Martin Wuttke "Artaud erinnert sich an Hitler und an das romanische Café" oder "Der Auftrag", sowie die erste türkische Heiner-Müller-Aufführung am Stadttheater in Istanbul.


    Zu Paul Plampers bekanntesten Hörspielen zählen "TOP HIT leicht gemacht", "Henry Silber geht zu Ende" oder "Hochhaus". Derzeit inszeniert Paul Plamper für den WDR sein neues Hörspielprojekt "Ruhe 1" im Museum Ludwig in Köln. U. a. stand er uns hierzu in einem Interview Rede und Antwort.



    Wie kommt man vom Theater zum Hörspiel?


    Da die ersten Arbeiten für das Theater bereits sehr viel mit "Hörspiel" zu tun hatten, war es nur ein kurzer Schritt zum Hörspielmacher. Bei meiner Inszenierung "Projekt RAF" am Berliner Ensemble war die Audioebene als Hörspiel verwendbar und wurde im HR gesendet, dann kam das Angebot des WDR die Kurzgeschichte "Hüttenkäse" von Tim Staffel als Hörspiel zu machen.



    Herr Plamper, ihre Hörspiele sind immer besonders, aber immer anders. Woher bekommen Sie ihre Ideen?


    Mich treiben immer die unterschiedlichsten Fragen um. Bei "Die Unmöglichen" war es die Tatsache, dass neue genetische Diagnosemethoden die Zukunft der Menschheit deutlich verändern. Der Homo Sapiens kann nun erstmals an seiner genetischen Struktur herumbasteln und das ist bereits demographisch messbar. Diese Bereiche, aber auch die Frage, nach dem, was eigentlich "ein Leben" ist, wie planbar es ist, sind die Themen, die in diesem Hörspiel, das in Zusammenarbeit mit Julian Kamphausen entstand, gebündelt wurden.


    Bei meinem neuen Projekt "Ruhe 1" ist die Grundlage ein Vorfall, den ich selbst erlebt habe und der mich seither immer wieder beschäftigt.
    Kurz nach der Wende wohnte ich in Berlin, Prenzlauer Berg. Da es nur wenige Telefonanschlüsse gab, musste man auf öffentliche Fernsprecher zurückgreifen und entsprechend lang waren die Schlagen, die sich dort bildeten.
    Ich stand mit vielen anderen an einer der wenigen Telefonzellen an, als sich plötzlich ein Paar näherte, das etwas seltsam wirkte. Es begann ein Streit, den man zunächst nicht einordnen konnte. Es eskalierte, aber keiner in der Schlange unternahm etwas. Ich entschloss mich dann als Einziger wenigstens zu rufen und brachte aber gerade mal ein zu leises und wirkungsloses 'He, hört auf...' heraus. Plötzlich packte der Mann die Frau, knickte sie um und zog sie rücklings in einen nahegelegenen Hauseingang. Ich brauchte dann noch zwanzig Sekunden, bis ich mich aus der Reihe gelöst hatte und hinter den beiden her bin. In dem Haus war absolute Ruhe und auch auf mein Klingeln an den Türen regte sich nichts, so dass ich nach einer Viertelstunde aufgab.
    Seither beschäftigt mich das Thema Zivilcourage, aber auch das Thema Gruppenverhalten sehr.
    Was ist das für ein Bann, der eine Gruppe von zwanzig Leuten erfasst, dass keiner auf die Situation reagiert, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, hier einzugreifen? Aber im Rudel scheint der Mensch so zu reagieren, dass er Verantwortungsdiffussion betreibt. Es gibt da auch interessante Studien dazu, die belegen, dass die Chance, dass man eingreift zu 80 % höher ist, wenn man in der Situation alleine ist und nicht in der Gruppe.


    Mein Erlebnis ist da ja kein Einzelfall. Immer wenn ich mit jemandem darüber rede, kennt er eine ähnliche, selbst erlebte Geschichte. Diese alltäglichen, schnöden Ereignisse, bei denen man im Zweifel ist, ob man eingreifen sollte oder nicht, ist es Einmischung oder im anderen Fall unterlassene Hilfeleistung, sind mein Thema bei "Ruhe 1".Es geht mir also um die Grauzone am Rand der sozialen Verantwortung.



    "Ruhe 1" wird ja als begehbares Hörspiel angekündigt, was darf oder kann man sich darunter vorstellen?


    "Ruhe 1" ist etwas Neuartiges, ein Hörspiel im Raum, eine begehbare Hörspielszene. Den Museumsbesucher erwartet eine dreidimensionale Inszenierung. Ein Raum, in dem Tische und Stühle stehen. Auf den Tischen sind Lautsprecher. Jeder dieser Lautsprecher gibt eine Stimme, einen Sprecher, aus dem Hörspiel wider. Die insgesamt 29 Stimmen erzeugen die Geräuschkulisse eines vollbesetzten Restaurants. Der Besucher kann sich dann von Tisch zu Tisch bewegen und in diese einzelnen Gespräche eintauchen, sie belauschen. Diese sind jeweils 4:57 Minuten lang und laufen in einer Endlosschlaufe, bei der nicht festzustellen ist, wo Anfang und Ende des jeweiligen Gesprächs ist - eine loop-artige Schlaufendramaturgie.
    Alle 4:57 Minuten kommt aber dann der Raum zur Ruhe – der Vorfall beginnt. Alle "schauen" auf, die Gespräche verebben, man erlebt den Streit als ein Mosaik aus bruchstückhaften Beschreibungen und Beobachtungen der jeweiligen Tische.
    Aber so viele Menschen im Raum sind, so viele unterschiedliche Wahrnehmungen und Versionen gibt es auch. Man kann so auch sehr interessante Beobachtungen machen, wie Emotionalität oder eigene Erfahrungen die Einschätzung der Situation einfärbt. Damit werden auch die unterschiedlichsten Arten und Weisen, wie Menschen eine Situation erleben oder vielmehr - hier in unserem Fall - von sich fern halten, nicht einzuschreiten, nicht zu helfen, erkennbar.


    Die Dreidimensionalität des Hörspiels macht das soziale Verhalten einer Gruppe in einer solchen Situation plastisch und gibt jedem Besucher die Gelegenheit, das mal für sich aufzufächern und zu entschlüsseln – vielleicht die Besonderheit an diesem Projekt.



    Der Besucher hört also nur und nimmt den Raum nur als statische Kulisse wahr?


    Der Besucher hört und bewegt sich in der Szene. In Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Evi Wiedemann ist ein Raum entstanden, der den Museumsbesucher zum Teil des Bildes macht. Im Hintergrund ist eine riesige Lichtwand, die die Fensterscheibe darstellt, hinter der sich der Vorfall "ereignet". Das Bild entsteht nur im Kopf des Besuchers, der die Szene auf diese Wand oder sonst wo hin projizieren kann.



    Geht durch die räumliche Komponente nicht der ureigenste Reiz, die Fokussierung auf das Hörerlebnis, etwas verloren?


    Nein, denn der Raum ist bewusst als eine Art Container oder Sprungbrett für die eigene Phantasie gehalten und sehr reduziert ausgeführt. Wir haben uns Gedanken gemacht, wie ein Raum aussehen muss, in dem man intensiv hört, gerne hört.
    Das Besondere ist, dass ich gerade das Thema Gruppenverhalten nicht auf einer Zeitleiste von fünfzig Minuten hintereinander erzählen wollte, deswegen kam es zu dieser über vierzig-spurigen Parallelmontage, die ich jetzt wiederum für die Radiosendung auffächern werde. Die Dramaturgin Martina Müller-Wallraf und ich erhoffen uns, dass uns der Raum auf eine interessante Hörspielform für die Radiosendung bringt. Hörspiel ist ja ein wunderschönes Medium, weil es Freiheit lässt für die eigene Phantasie, das haben wir mit RUHE 1 versucht zu radikalisieren. Wenn wir bei einer Sendung 100.000 Hörer haben, dann entstehen 100.000 verschiedene Bildgeschichten. Bei "Ruhe 1" kommt hinzu, dass jeder Besucher einen unterschiedlichen Weg durch den Raum nimmt und sich so sein Hörspiel selbst mischt und damit ein vollkommen anderes Hörspiel gehört haben wird, als andere.



    Diese Darstellung bedingt ja auch eine Vielzahl an Sprechern; Wer wird denn in "Ruhe 1" alles zu hören sein?


    Es ist in der Tat ein unglaubliches Ensemble zusammengekommen. Es konnten hochinteressante Experten gewonnen werden. Z. B. haben sich Kasper König, Direktor der Museums Ludwig und Matthias Lilienthal, Intendant des Hebbel-am-Ufer-Theaters, überreden lassen, hinreißend einen zynischen Künstlerstandpunkt zu vertreten. Ein anderer Tisch kommt von Berliner Jugendlichen, wieder ein anderer wird von Bankern und Ex-Versicherungsmaklern improvisiert. Dazu gibt es aber auch ganz großartige Schauspieler wie Andreas Schmidt, Caroline Peters, Cristin König, Fabian Hinrichs, Margarita Broich, Milan Peschel, Martin Wuttke, Matthias Matschke, Judith Engel, Irm Hermann oder auch Bastian Bastewka, mit dem ich erstmals gearbeitet habe.
    Es ist eine bunte und widersprüchliche Mischung an Menschen, die wir da zusammenbekommen haben. Die Dialoge sind größtenteils in Improvisationen entwickelt worden, die wir dann im Schnitt verdichtet und rhythmisiert haben. Jedes Wort der 30 Sprecher im Raum ist exakt getimt. Es gibt Unterhaltungen zwischen Tischen und vieles mehr zu entdecken.



    Das Hörspiel wird auch im Radio gesendet, wie lässt sich das aus der räumlichen Darstellung transportieren?


    Es werden noch Experimente mit Mikrofonen im Raum des Museum Ludwig angestellt und es wir mit den Interviews hantiert, die im Vorfeld der Arbeit entstanden sind. In umfangreichen Recherchen zum Thema Zivilcourage und in entsprechenden Befragungen von Passanten in Berlin und Leipzig, haben wir viel Material gesammelt, das in die Dialoge eingeflossen ist. Mal sehen, es wird spannend.



    Die Bezeichnung "Ruhe 1" deutet darauf hin, dass es nicht nur bei diesem einen Projekt bleiben wird?


    Es ist tatsächlich der Auftakt zu einer Serie. Die Beschäftigung mit dem Thema "Ruhe" lag mir schon immer am Herzen. Ich habe irgendwann beim Hören der Hörspiele von Helge Schneider, den ich sehr bewundere, und z.B. bei einigen Funk-Songs festgestellt, dass es da ein gradioses Verhältnis von Pause und Ton gibt. An den Pausen, den stillen Momenten, lässt sich in der Musik deren Qualität erkennen. Wenn die Pausen stimmen, dann stimmt meist auch das Drumherum.
    Ich hingegen habe gerade mal drei für mich akzeptable Pausen, also Momente der Ruhe, geschaffen und da lag der Schluss nahe, dass ich mich, um mich insgesamt voranzubringen, mit dem Thema auseinandersetzen muss.
    Daher werde ich jetzt entsprechende Hörspiele angehen, also dramatische Strukturen schaffen, die auf einen oder mehrere Momente der Ruhe hinarbeiten.



    Haben Sie da schon ein weiteres, konkretes Projekt im Auge?


    RUHE 1 beschäftigt sich mit einem Moment von Ruhe als unbegrenztem Raum für Möglichkeiten. Gleichzeitig ist diese kurze Ruhe der Schauplatz des Dramas, dass diese Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden. Eines der nächsten Projekte zum Thema "Ruhe" wird sich z.B. mit Zensur im weitesten Sinne beschäftigen, es wird um Ruhe als Ausdruck der Unterdrückung von Inhalten gehen. Aber zunächst mache ich mit Nils Kacirek zusammen ein Hörspiel in Hamburg mit sog. 'behinderten' Menschen, das nichts mit dieser Reihe zu tun hat. Sie wird aber so schnell wie möglich fortgeführt.



    Wann und wo kann man "Ruhe 1" erleben?


    "Ruhe 1" ist im Museum Ludwig in Köln seit dem 24. Oktober bis 26. Januar des nächsten Jahres eingerichtet. Die Radiofassung wird am 15. und 23. Dezember vom WDR ausgestrahlt.


    Ich bedanke mich für das Interview und wünsche für dieses, und natürlich
    auch alle kommenden Projekte viel Erfolg.