Interview mit Raimon Weber

  • Den Anfang der Interviews mit den MindNapping-Autoren macht Raimon Weber, er hat die Folgen 2 "Die 9mm-Erbschaft" und 7 "Das Geschwür" geschrieben.


    1. Hallo Raimon. Wir steigen direkt mal etwas provokant ein. Ich dachte immer, dass man dich nicht mehr vorstellen müsste, aber anscheinend wissen einige Leute da draußen immer noch nicht wer Du bist, was Du machst und was Du gemacht hast. Stell dich doch bitte mal den Lesern vor, wer ist Raimon Weber?


    Wo fängt man da an? ... Heute arbeite ich als Autor, Medientrainer und Storydoktor. Ich schreibe Romane – sehr gern Thriller -, Drehbücher und Hörspielskripte, arbeite für die Presse und bin Medientrainer der Landesanstalt für Medien NRW. Letzteres beinhaltet Seminare für alle Altersgruppen, Schreibwerkstätten oder Referate zu Themen wie „Ethik in den Medien“ oder „Theoretische und praktische Konzeption eines Hörspiels“. Ein Storydoktor bearbeitet auf Wunsch des Auftraggebers Manuskripte aller Art, also auch Filmdrehbücher und diverse Hörspiele bzw. Hörbücher. Natürlich anonym, versteht sich. Mit einem eingespielten Team werden auch ganz individuell Projekte aller Art vertont. Das reicht vom Aufpeppen diverser Internetauftritte bis zu Live-Präsentationen des Fraunhofer Instituts. Aber in erster Linie bin ich mit Leib und Seele Autor.


    2. Es lässt sich ja nicht leugnen, Du hast damals für Gabriel Burns und Point Whitmark geschrieben.


    Stimmt. Bis zum Jahr 2005. Beziehungsweise jeweils bis Folge 15. Dann habe ich für mich einen endgültigen Schlussstrich gezogen.


    3. Du bist dem Medium aber treu geblieben, richtig? Du hast einen Fall zur Serie Kommissar Dobranski beigetragen. Wie lief das ab?


    Ich besuchte Konrad Halver in seinem Studio wegen einer ganz anderen Geschichte. Irgendwann fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, einen Dobranski-Fall zu schreiben. Klar, sagte ich. So entstand „Der falsche Franzose“. Der Plot beruht zum Teil auf wahren Begebenheiten. Schade, dass Dobranski so ins Stocken geraten ist. Mit einem festen (!) Autoren-Pool hätte das eine gute und wunderbar schräge Serie werden können. Dieser Hamburger Kosmos biete jede Menge Stoff.


    4. Danach ging es für dich aber erst mal weg vom Hörspiel und hin zum Hörbuch, Stichwort Psychothriller GmbH. Erzähl doch mal ein wenig über deine Arbeit für Ivar Leon Mengers Label, was hast Du dazu beigesteuert?


    In der Tat widmete ich mich nach Burns & Co ausschließlich und mit Wonne dem Schreiben von Romanen. Auf „Wozu wir fähig waren“ folgte „Eis bricht“ und schließlich 2008 „Zwienacht“. Romane sind etwas sehr Intensives und Intimes. Man arbeitet absolut eigenverantwortlich, erschafft Protagonisten mit Emotionen und möglichst schlüssigen Charakteren. Durchlebt Phasen der Selbstzweifel („Ist das wirklich gut? Will das überhaupt jemand lesen? Bin ich zu bösartig?“) Bis dann endlich das Finale geschrieben wird und Verleger und Lektor das letzte Wort haben. Dann kommt der Tag, wo zumeist völlig überraschend ein Mensch auf mich zukommt und sagt: „Ich habe Ihr letztes Buch gelesen!“ Das ist die Entscheidung für Suizid oder inneren Jubel. Bisher habe ich die Reaktionen meiner Leserschaft zum Glück seelisch gut verkraftet. Ich lebe und es geht mir dabei hervorragend. Ich liebe meine Arbeit. Und damit auch noch Geld verdienen zu können, ist eine Offenbarung. Danke! Meine Recherche treibt mich zu leibhaftigen Serienmördern oder in Verbrennungsanlagen für amputierte Gliedmaßen. Was will man mehr! ... Aber, ich schweife ab. Zurück zur Psychothriller GmbH. Da kann ich mich nur wiederholen: Das war nicht die Pflicht, das war die Kür!


    2009 rief mich Ivar an, erläuterte das Projekt Darkside Park und fragte, ob ich mir vorstellen könnte daran mitzuarbeiten. Ich kannte Ivar nicht und er nur meine Arbeiten. Dennoch entstand schon im ersten Gespräch eine Vertrauensbasis, einfacher gesagt, ein gutes Gefühl. Und das sollte sich bestätigen. Für mich war es neu in einem Autorenkollektiv zu arbeiten, aber nach dem ersten Treffen aller Beteiligten in Darmstadt war die Stimmung hervorragend. Wir spielten uns die Bälle zu, entwickelten den weiteren Plot und jeder schrieb seine Folgen. Immer im Austausch mit den anderen. „Porterville-Steaks“, „Die geheimen Kinder“ und „Frischling, Frischling“ waren meine Beiträge. Die Zusammenarbeit und die Treffen auf Messen und Veranstaltungen machten uns zu Freunden. Den Kontakt zu Hendrik, John oder Simon möchte ich nicht missen. Wir geben uns auch immer wieder gegenseitig Ratschläge. Denn da draußen wartet auf Autoren eine nicht immer nur harmlose Welt ;-)


    Besonders hervorzuheben ist natürlich Ivars Rolle im Darkside Park. Er ist nicht nur ein begnadeter Produzent, er ist auch ein großer Motivator und vor allem ... ein feiner Kerl. Kurzum: ein Mann meines Vertrauens.
    Aktuell arbeiten wir an TERMINAL 3. Eine Serie mit, wie ich finde, riesigem Potential. Handlungsort ist ein fiktiver Flughafen in San Francisco mit dem zivilen Sicherheitschef Lennard Fanlay. Eine Story, drei Sichtweisen, drei Sprecher, ca. drei Stunden Spieldauer. Ich steuerte bisher „Weiche Ziele“ und „Die Sensen des Himmels“ bei. Harter Stoff!


    5. Dann gab es doch wieder die Rückkehr zum Hörspiel und wir schlagen den Bogen zur Audionarchie. Hast Du bei Labelstarts ein ungutes Gefühl und bist zunächst skeptisch, was eine Zusammenarbeit betrifft oder hast Du sofort zugesagt?


    Es kommt immer darauf an, wer an mich herantritt und mit welcher Idee. MINDNAPPING, die erste Reihe von Audionarchie, hat eine sehr gute Grundlage und lässt dem Autor viele Freiheiten. Ich bin nicht eingeschnürt in ein enges Serienkonzept. Das macht hier die Stärke aus. Einzelfolgen mit immer neuen Protagonisten. Wenn man nichts falsch macht, darf da eigentlich keine Langeweile aufkommen. Außerdem ist hier Platz für jene Geschichten – böse Geschichten! – die schon immer darauf lauerten endlich das Tageslicht zu erblicken. Das von mir im Herbst erscheinende „Geschwür“ ist so ein Fall. Dafür schon mal herzlichen Dank an die Audionarchie.
    Zudem sollten junge Label auch mal den Mut haben neue Wege zu beschreiten. Ich weiß, welches Risiko das darstellt. Aber Audionarchie beweist hier diesen Mut. Auf einen neuerlichen Aufguss von – Sorry! – Frankenstein oder Dracula & Co hätte ich keinen Bock.


    6. Was war zuerst da, die Idee für ein Hörspiel oder die Anfrage des Labels, eine Folge zu schreiben? Es ist ja durchaus auch mal so, dass ein Autor eine Idee hat, diese in die Schublade packt und zu einem späteren Zeitpunkt wieder rausholt und ausarbeitet, wenn die Idee in das Konzept der jeweiligen Serie oder Reihe passt.


    Ich bin Autor. Das ist für mich zum einen Berufung, aber es ist auch mein Beruf. Ein Fliesenleger oder Konditor kann nach einer Anfrage auch nicht sagen: „Öh... da muss ich erst in mich gehen. Bitte ein Jahr Bedenkzeit.“ Ich habe so gut wie nie eine kreative Blockade. Kann ich mir auch gar nicht leisten. Ich lausche dem Konzept und automatisch entstehen erste Ideen. Dann folgen die Ausarbeitung und die Überprüfung auf Logik und Machbarkeit. Ich war schon immer wie die meisten meiner Kollegen ein Spinner. Von Kindheit an. Während andere Neunjährige nur „Peng, Peng!“ machten und durchs Gebüsch krochen, entstanden bei uns gleich wilde Szenarien, die allerdings nicht immer auf Verständnis trafen. Fantasie kann einsam machen ;-)


    Geschichten kann man nicht aus sich heraus quälen, es muss immer mit Freude geschehen. Wenn das nicht klappt, muss der Auftrag unbedingt abgelehnt werden. Sonst droht erheblicher Schaden für alle Beteiligten.


    7. Du hast für MindNapping jetzt zwei Folgen geschrieben, „Die 9mm-Erbschaft“ ist als Folge 2 bereits erschienen, Folge 7 „Das Geschwür“ soll Ende des Jahres erscheinen. Hast Du noch weitere Ideen für diese Reihe oder war es das erst mal?


    Siehe Antwort 6. Die Reihe gibt eine Menge her und ich habe soooo viele Ideen. Da geht noch eine Menge. Wenn erwünscht. Als Autor bist du wie ein Schwamm. Von allen Seiten strömt die Inspiration auf dich zu. Du musst nur zuhören, zusehen und auch mal innehalten. Die Welt, egal ob L.A. oder Emsdetten, liefert ununterbrochen Inhalte. Ich beginne morgens mit dem Lesen der Tageszeitung. Darin stehen – meistes klein unter AUS ALLER WELT – unerhörte Meldungen wie „Polizeischutz für Bucklige“. Lest die paar Zeilen und ihr entdeckt Dinge jenseits der normalen Vorstellungskraft. Aber glaubt nicht, dass ihr im Fernsehen bei „Niedrig und Kuhnt“ Erleuchtung findet. Dieser ganze Trash tötet Kreativität ab. Traut euch lieber in zwielichtige Spelunken, trinkt einen Kaffee auf dem Wochenmarkt, macht einen Waldspaziergang und hört immer genau zu.


    8. Wie arbeitest Du am liebsten? Klare Vorgaben, was der Auftraggeber von dir erwartet oder carte blanche?


    Zu klare Vorgaben können einschränkend wirken. Natürlich kann man nicht immer einfach drauflos schreiben. Es geht hier schließlich um Investitionen, um Geld. Es ist meine Pflicht, mit dem finanziellen Einsatz meiner Auftraggeber sorgsam umzugehen. Schön ist es dennoch, wen man mir vertraut. Ich gebe immer mein Bestes. Versprochen! Aber auch bei Vorgaben kann man über alles reden. Um wieder den Fliesenleger zu bemühen: „In diesem Bad würde ich vielleicht doch lieber dunkelblau statt kariert empfehlen.“


    9. Was hältst Du von der allgemeinen Untergangsstimmung, die in Bezug auf Hörspiele zurzeit herrscht? Übertriebene Panikmache, die einfach bewusst von dem einen oder anderen Label geschürt wird oder bittere Realität?


    Einige Zeit lang ist dieser Markt expandiert. Viele Semi-Professionelle versuchten sich und scheiterten trotz riesiger Erwartungshaltung. Nicht selten krankte es an neuen Ideen. Siehe Antwort 5: Frankenstein, Dracula und Werwolfplage. Hinzu kamen billige Plagiate. Dann wurden Laiensprecher eingesetzt und kein unparteiischer Lektor auf die Skripte angesetzt. Da nahm man sich von – wohl bemerkt – berechtigter Kritik nichts an und wurschtelte munter weiter. Es tut mir leid, aber wer verkaufen will, muss gewisse Voraussetzungen für die Gesamtproduktion erfüllen. Jeder Job will erlernt werden. Da kann nicht einfach der Kumpel ans Mikro oder Mischpult.
    Das ist aber nur die eine Seite. Nicht immer kann oder will ein Label genügend Werbung für das Produkt machen. Die Verkaufszahlen wachsen zumeist nicht mehr in den Himmel. Man wird vorsichtig bei neuen Produkten und vertraut auf scheinbar Altbewährtes. Der Autor kann nur ein möglichst gutes Skript abliefern, auf den Rest hat er kaum Einfluss. Es kam auch schon mal vor, dass ich von der Umsetzung zumindest im Detail – sagen wir mal – unangenehm überrascht wurde.


    Aber ist das ein Grund zur Verzweiflung? Nein. Machen wir weiter. Liefern wir beste, innovative Qualität ab. Ich habe so viele Exposés in den Schubladen. Und andere Autoren garantiert auch. Man muss uns nur lassen ... und auch angemessen bezahlen. Qualität hat ihren Preis.


    Daher großes Pfui an alle illegalen Downloader. Ihr helft mit, dass Genre in seiner Vielfalt zu zerstören. Ihr trefft nicht nur die großen Vertriebsfirmen, sondern auch die Macher. Und die schwimmen nicht in Geld.


    10. Was erwartet uns in Zukunft von dir?


    Ich kann mich über Arbeitsmangel nicht beklagen. Es werden neue Romane erscheinen, die im Bereich SF und Mystery mit einem realen Hintergrund eine neue Welt entstehen lassen. Was für ein Spaß und vielen Dank an die Auftraggeber!


    Ich freue mich auf intensive Zusammenarbeit mit Ivar Leon Menger und Patrick Holtheuer. Da stehen wir erst am Anfang.


    Der Bereich Filmdrehbücher wird intensiviert und dann lauert da noch mein halbfertiges Lieblingswerk: ein Roman, Stichwort „kontrafaktische Geschichte“.


    Aber das Wichtigste sind innere Zufriedenheit und die Familie. Erfolg um jeden Preis. Ohne mich.