Gruselkabinett Folge 118/119: Jules Verne - 20.000 Meilen unter dem Meer (Titania Medien)

  • Für mich als hörspielaffinen Science-Fiction-Fan gab es bislang keinen Grund, die Reihe Gruselkabinett auf dem Radar zu haben. Warum auch? Immerhin sind Menschen, die sich mit kühnen Zukunftsvisionen, Weltraumschlachten und Dystopien beschäftigen, nicht gerade die Zielgruppe von auf Erzählungen aus der Ära der Schauerromantik basierenden Hörspielen. Doch da Titania zwischen Mitte März und Ende Mai 2017 mit Der Unsichtbare, Die Insel des Dr. Moreau, Die Zeitmaschine und Der Krieg der Welten gleich vier Vertonungen berühmter Werke des SF-Großmeisters H.G. Wells bringt, habe ich mir mal Gruselkabinett Folge 118/119: 20.000 Meilen unter dem Meerangehört, um herauszufinden wie es klingt, wenn sich das Team um Marc Gruppe eines SF-Klassikers annimmt.



    Wurde eine literarische Vorlage schon mehrfach vertont, dann ist es an jeder neuerlichen Adaption, ihre Daseinsberechtigung nachzuweisen. Dies kann sie durch größere Ausführlichkeit bzw. Werktreue, durch eine Sprecherriege, deren Leistung der früherer Version überlegen ist, oder auch mittels eine gelungeneren Klangkulisse. In puncto Laufzeit wird Europas Klassiker aus dem Jahre 1977 von Titanias aktueller Version schon einmal geschlagen: Brauchte man 1977 ca. 50 Minuten, um Vernes Untersee-Abenteuer zu erzählen, so sind es jetzt etwas weniger als zwei Stunden. Oder anders ausgedrückt: Zu jenem Zeitpunkt, an dem Prof. Aronnax, Ned Land und der Diener Conseil vor 40 Jahren bereits wieder von Bord der Nautilus geflüchtet waren, haben sie Nemos U-Boot heutzutage noch nicht einmal betreten. Das Skript verschafft Prof. Aronnax zwar etwas mehr Profil, indem er sich in den ersten Minuten des Hörspiels während eines Interviews als Wissenschaftler und insbesondere Meeresforscher profilieren darf, schlägt dann jedoch für den Rest der ersten Stunde eine recht gemächliche Gangart ein. Es hat einen guten Grund, warum bei früheren Adaptionen jener Teil der Geschichte bis zum Zusammentreffen der Abraham Lincoln mit der Nautilus mächtig gestrafft wurde: Er ist einfach nicht wirklich spannend. Marc Gruppe glaubt hingegen scheinbar, es besser zu wissen, und räumt diesem Abschnitt genau so viel Spielzeit ein wie den Abenteuern unter den Weltmeeren. Als Konsequenz daraus passiert in CD 1 nicht besonders viel (einziges Highlight ist die Havarie der Abraham Lincoln), während für CD 2 dann so viel an Plot übrig bleibt, dass nicht alles davon als Spielhandlung dargeboten werden kann: Beispielsweise hätte man als Hörer gerne erlebt, wie Kapitän Nemo Aronnax und Co die Ruinen des versunkenen Atlantis zeigt, doch stattdessen wird es vom Professor (gleichzeitig der Ich-Erzähler in diesem Hörspiel) fast schon beiläufig lediglich erwähnt. Eine andere dramatische Szene, in deren Verlauf ein Crewmitglied schwer verletzt wird, bekommen die Protagonisten erst gar nicht mit, weil sie von Nemo vorher betäubt wurden. Die spätere Beerdigung des Seemanns auf dem Boden des Ozeans hat es ebenfalls nicht in die Spielhandlung geschafft – Aronnax berichtet lediglich in knappen Worten davon. Immerhin bekommt man eine - wenngleich nicht sonderlich spannende – Begegnung mit einer Tiefseespinne geboten und den durchaus reizvoll inszenierten Kampf gegen den Riesenkalmar. Diese Actionszenen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Produktion ein mächtiges Problem mit dem Timing hat. Ein wirklicher Spannungsbogen baut sich nicht auf, und gegen Ende hat es der Plot dann sehr eilig: Die Wandlung von Kapitän Nemo vom Misanthropen zum komplett Wahnsinnigen vollzieht sich sehr abrupt; und während dieser geisteskrank in die Tasten seiner Orgel haut, entkommt das Protagonisten-Trio ohne große Hindernisse von Bord der Nautilus. So weit, so bekannt. Diesen Plot hätte man auch in 80 Minuten bzw. auf einer CD erzählen können.


    Was die Besetzung angeht, so vertraut Titania Medien auf die Dienste von bewährten Stimmen wie die von Jürgen Thormann (als Prof. Aronnax), Dietmar Wunder (Ned Land), Uli Krohm (Kapitän Nemo) und Julian Tennstedt (Conseil). Thormann ist als erfahrener Wissenschaftler absolut glaubwürdig, und auch die geradezu kindliche Neugier, mit der er auf das technische Meisterwerk namens Nautilus und die Wunder der Meere reagiert, transportiert er greif- und nachvollziehbar. Dafür, dass Aronnax etwas zu spontan vom Ein-Unterseeboot-gibt-es-nicht-Skeptiker zum Nemo-Fan mutiert, kann er nichts. Das geht komplett auf die Kappe des Dialogbuchs. Dietmar Wunder grummelt sich als bodenständiger Harpunier Ned Land durch seine Takes und bildet dadurch einen schönen Kontrast zu seinen Mitspielern. Insbesondere zu Julian Tennstedt, der die undankbare Rolle des Dieners Conseil zu verkörpern hat: Wenn der Ankündigungstext von Conseil als Aronnax' „äußerst ergebenem jungen Diener“ spricht, dann ist das fast schon ein Euphemismus, denn Conseil tritt das ganze Hörspiel über dermaßen devot auf, dass der Eindruck entsteht, Aronnax habe seinen Bediensteten aus einem einschlägigen Etablissement im Pariser Rotlichtbezirk abgeworben. Spätestens dann, wenn der Professor eine der unzähligen, vor Unterwürfigkeit triefenden Äußerungen seiner Dieners mit einem knappen „Brav“ quittiert, erinnert das Verhältnis zwischen den beiden an das zwischen einem Hundebesitzer und seinem Vierbeiner. Nur bekommt Conseil von seinem Herrchen keine Leckerlis. Daran sollte er für Zukunft mal arbeiten. Ansonsten verharrt Conseil in jenem Status des Stichwortgebers ohne Eigeninitiative, der von jeher für ihn reserviert ist. Tennstedt muss man hingegen zu Gute halten, das beste aus einer Rolle gemacht zu haben, die einem leider aus den falschen Gründen im Gedächtnis bleibt. Uli Krohm besitzt die nötige stimmliche Präsenz, um einen ansprechenden Kapitän Nemo abzugeben, doch kann er die Facetten seines Könnens nur bedingt entfalten, weil das Drehbuch Nemo sich hinter Andeutungen verschanzen lässt, anstatt durch Offenlegung seiner Vergangenheit ein klares Bild davon zu zeichnen, was diesen genialen und vermögenden Mann zum Rächer auf und unter den Meeren hat werden lassen. Die Ambivalenz seines Wesens - einmal ist Nemo schroff und abweisend gegenüber seinen unfreiwilligen Gästen, im nächsten Moment im Umgang mit ihnen verbindlich und entgegenkommend – wird zwar angedeutet, doch diese Puzzleteile ergeben unterm Strich keinen wirklich greifbaren Charakter. Die Figur bleibt bis zu ihrem vermeintlichen Ende (was aus ihm wird, bleibt unklar) nebulös; Krohm müht sich, agiert zweifellos souverän, kann aber nicht jenes Bild eines gebrochenen Menschenfeinds vermitteln, das möglich gewesen wäre, wenn die Macher mehr wert auf diesen Aspekt der Geschichte gelegt hätten.


    Bei der Gestaltung der Geräuschkulisse gibt sich Titania Medien hingegen keine Blöße: Man lässt das Meer rauschen, krachend die Abraham Lincoln untergehen und versteht es, das Geschehen an Bord der Nautilus atmosphärisch zu gestalten. Auch das Kampfgetümmel bei der Abwehr des Riesenkalmars hat man im Griff. Gruselkabinett Folge 118/119: 20.000 Meilen unter dem Meer klingt so, wie man es im Jahre 2016 von einer kommerziellen Produktion erwarten kann und darf. Akustische Wunder bleiben aus, sind aber angesichts der Geschichte auch nicht von Nöten. Der Soundtrack begleitet das Geschehen stimmungsvoll, wenngleich bisweilen einzelne Stücke etwas zu modern für die Ära um 1867 klingen. Titania geht zwar nicht gerade sparsam mit dem Einsatz von Musik um, setzt sie jedoch begleitend ein und vermeidet es, dass sie sich in den Vordergrund drängt. Stattdessen wird sie zum Bestandteil einer ausgewogenen Klangkulisse, vor deren Hintergrund sich die Handlung vollzieht. In diesem Punkt wird die Produktion den Erwartungen durchaus gerecht. Als optische Einstimmung auf das Hörspiel wurden von Ertugrul Edirne zwei Cover gestaltet, die eine Szene des Hörspiels aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen, stilistisch das Flair der damaligen Zeit einfangen und zudem auch eine Reverenz an das Cover der klassischen Europa-Version darstellen. Eine schöne Idee.



    Was den Nachweis der Existenzberechtigung angeht, so kann Gruselkabinett Folge 118/119: 20.000 Meilen unter dem Meer diesen eher bedingt erbringen. Das Hörspiel erzählt kaum mehr als die vorherigen Fassungen, braucht dafür aber doppelt so lange. Dabei lässt Marc Gruppe in der ersten Hälfte jede Menge Zeit liegen, die dann in Teil 2 fehlt, um Kapitän Memo als eine faszinierende, weil vielschichtige Persönlichkeit darzustellen. Im Gegenteil: Die aktuelle Titania-Version fällt sogar hinter das zurück, was in früheren Adaption bereits erreicht wurde. Prof. Aronnax bekommt dieses Mal zwar mehr Aufmerksamkeit, doch das hilft der Geschichte nicht, da Nemo nun einmal der interessantere der beiden Figuren ist. Das Portrait des Dieners Conseil wirkt befremdlich; einzig die Charakterisierung von Ned Land kann vollauf überzeugen. Dem Umstand, dass von Titania in Sachen Sprecherauswahl, Sounds und Musik ordentliche Arbeit geleistet wurde, hat es das Hörspiel in der Endabrechnung zu verdanken, dass man über ihm den Stab nicht brechen möchte. Mächtig gebogen hat er sich allerdings schon. Und von bedingungslosem Durchwinken ist diese Produktion auf jeden Fall meilenweit entfernt.


    Denkt man an die Wells-Vertonungen im nächsten Jahr, dann lässt der Eindruck, den das vorliegende Hörspiel hinterlassen hat, einen diese eher mit gemischten Gefühlen entgegensehen. Hinsichtlich der Besetzung, der Soundkulisse sowie der Musik braucht man sich wohl keine Sorgen zu machen. Und auch die Cover, die Titania Medien bereits auf seiner Website veröffentlicht hat, sehen wirklich schön aus. Es stellt sich nur insbesondere im Hinblick auf die Doppelfolgen Der Unsichtbare und Der Krieg der Welten die Frage, ob die Macher dann ein besseres Timing und einen stimmigen Spannungsbogen hinbekommen werden. Warten wir es ab. In sechs Monaten sind wir schlauer...

  • „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne fasziniert mich seit meiner Kindheit. Das liegt besonders am interessanten Charakter des Kapitän Nemo. Eine überaus faszinierende Figur. Sowohl die Vertonung von Europa (H. G. Francis) als auch von Maritim (Kurt Vethake) hörte ich gerne. Im Gegensatz zu diesen bietet die Neuvertonung von Titania Medien die doppelte Spielzeit. Dies fiel mir beim Hören garnicht auf, so gut wurde ich unterhalten. Wie so häufig, gibt es eine etwas behäbige Einleitung, die von einem Ungeheuer berichtet, das Schiffe versenkt. Kurz darauf geht Professor Aronnax mit an Bord eines Schiffes, um den Schrecken der Meere zu jagen. Ausgelöst wurde diese Expedition vom der Vermutung desselben Professors, es müsse sich um einen ungewöhnlich großen Wal handeln. Während der gefährlichen Mission treffen einige Besatzungsmitglieder auf Kapitän Nemo, der sich entschloss ihnen zu helfen. Doch dies hat seinen Preis. Eine spannende Zeit begleitet der Hörer den Professor auf seiner Forschungsreise, auf der er vielen Gefahren trotzt und Wunderliches erlebt.


    Ein toller Aspekt der Umsetzung ist die Zweiteilung: Wer direkt in die Action einsteigen möchte, kann die Unterwasserwelt in Folge 119 zusammen mit dem Professor erkunden. Folge 118 stellt die Mission und die Protagonisten vor, sowie die Jagd nach dem Seemonster. Damit differenziert sich das Hörspiel gut von den früheren einstündigen Umsetzungen, die wie eine Highlightzusammenfassung wirken.


    Die Sprecherauswahl ist herausragend. In den Hauptrollen sind Jürgen Thormann, Julian Tennstedt, Uli Krohm und Dietmar Wunder zu hören. Die Schauspieler wissen den Figuren gekonnt mit ihrer Stimme Leben einzuhauchen. Es macht einfach Spaß ihnen zu lauschen und der packenden Handlung zu folgen.


    Bei diesem klanglichen Meisterwerk ist mir die Musik besonders positiv aufgefallen. Das erste Stück auf der zweiten CD ist mein liebstes. Zusammen mit den Sprechern und den Geräuschen ergibt sich ein sehr angenehmes Klangbild, dass stets die jeweilige Szene unterstützt. Es ergibt sich ein sehr harmonisches Gesamtbild, ohne in Hollywood-Effekthascherei zu verfallen.


    Fazit
    Ein weiterer Eintrag durchaus schauriger Literatur (zumindest wohl im 19. Jahrhundert und für Kinder) im Gruselkabinett. Diese famose Umsetzung des Klassikers ist aktuell meine liebste, noch vor den Europa- und Maritim-Klassikern.