»Ich-Zeichen« von Haimo Hieronymus ab dem 20. Mai im „Haus im Park“, Kunstverein Emmerich

  • Wenn die Möglichkeiten von Film und Fotografie es erlauben, das Antlitz des Menschen objektiv darzustellen, so könnte der Einfachheit behauptet werden, haben Zeichnung und Malerei ihre Funktion und damit ihre Aufgabe, vielleicht sogar Berechtigung verloren. Denn das wirkliche Aussehen des Menschen kann so gesehen nur die darzustellende Oberfläche sein. Dies erscheint allerdings zu kurz gegriffen. Der Mensch, sein Wesen, des Menschen Portrait ist mehr, gerade das Selbstporträt kann diese anderen Schichten sezieren.


    Haimo Hieronymus treibt mit dieser Bild-Vorstellung ein vertracktes Spiel. Zwischen Selbst-Befragung und schwarzen Sarkasmus entlarvt er das äußere Bild als Schema, die Oberfläche der Haut als verletzbare Hülle des Eigentlichen. Hat ihn schon in seinen einfachen kleinen Zeichnungen nicht so sehr das Aus-Sehen interessiert, sondern eher das Herein-Sehen, die Selbstbefragung in ihrer Zeitläufigkeit, so bricht er jetzt Bahn eben dieses Ich-Sehen in Ich-Zeichen zu verwandeln. Sich einer Situation bedingungslos auszusetzen, nur mit Spiegel und Zeichenmaterial ausgerüstet, mit Naturfarben und Tusche, mit einer Kamera.

    Im Raum steht ein Kubus, in den drei Dimensionen von jeweils zwei Metern, der Raum im Raum ist mit Leinwand bespannt, sowohl außen, als auch innen. Diese Leinwände bilden ein visuell unüberwindliches Hindernis zwischen Innen- und Außenwelt. Nur das Kabel der Kamera mit angeschlossener Projektion, von außen und innen sich überlagernde Geräusche, eventuell einige Schatten stellen die Verbindung her. Was passiert da drinnen, was passiert da draußen?

    Sich einzuschließen und die Bilder fluten zu lassen, entnervt, legt die Nerven bloß. Es verbindet hier die Realität des Augenblicks mit der virtualen Realität der Projektion. Der Zuschauer bleibt auf sich geworfen vor der Leinwand zurück. Er weiß nicht, ist dies Übertragene nun wirklich Abbild des gerade Entstehenden oder Aufzeichnung einer anderen Aktion, er ist dem Blickwinkel, den Manipulationsmöglichkeiten der Kamera ausgesetzt, setzt auch er sich dieser Performance aus; erstes scheint durch die Geräusche im Leinwandkubus bestätigt zu werden, ist aber nicht gesichert. Der Rezipient sieht ein Bild entstehen, erwartet, muß Auf- und Umbruch erleben, sieht Erwartungen erfüllt und vielleicht auch unerwartete Wendungen. Hieronymus sucht in einer entgrenzten Kunst Grenzen in sich. Zurück bleibt nach der Performance ein Bildraum. Man kann diesen Bildraum betreten, die Welt da draußen vergessen, sich einfach auf die Situation einlassen, mit eigenen Bildern, den Gerüchen und dem leicht gedämpften Klang der Außen- und Innenwelt.


    Im Zeitalter der kulturellen Globalisierung und Traditionsverschiebungen bleibt der Mensch als strauchelndes Wesen auf den Straßen der Zivilisationen zurück und sucht nach den Bruchstücken seiner selbst. Der allseits flexible Mensch des 21. Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema des bildenden Künstlers Haimo Hieronymus. In den entrücktesten Motiven glaubt man ein Déjà–vu längst verblasster Träume auftauchen zu sehen, etwas Irreales haftet diesen bald mehr ins Impressionistische, bald mehr ins Abstrakte gekippten Zeichnungen an. Die visuellen Störfelder sind den Drucken paradoxerweise als nahtlos infiltrierte, rein imaginäre Wirklichkeit eingeschrieben. Medial erweiterte Malerei zwischen inneren und äußeren Eingebungen, in der jede Homogenität von Raum oder Zeit in unzählige Erlebnispartikel zersprengt ist. Haimo Hieronymus definiert die Konturen und lasiert das Inkarnat als unmodulierte Flächen, die den Körperformen nicht folgen, sondern luftige, getrocknete Seen bilden, die das Papier an den Rändern sich kräuseln lassen. Die gezeichneten werden in transformatorische Sphären gehoben. Häufig wirken sie flüchtig, wenngleich manche Figuren fast nur aus Substanz, etwa Goldbronze, bestehen. Das transitorische Element, das seine Kunst durchzieht, macht sich bei der Präsentation bemerkbar. Etwas Improvisiertes lebt in der Syntax seiner Malerei, wir sehen das nicht, weil es sichtbar ist, es ist sichtbar, weil wir es sehen.


    Ein Bild beschreiben heißt auch, es mit Schrift zu übermalen. Die Beschreibung übersetzt es in ein anderes Medium. Die Struktur des Textes ist: Ein Bild stellt das andere in Frage. Eine Schicht löscht die vorige jeweils aus, und die Optiken wechseln. Das gemalte Bild als körperlicher Gegenstand wird von Haimo Hieronymus völlig aufgehoben, es schwebt frei im Raum, verändert sich mit der Bewegung des Betrachters und wird vollkommen ortlos. Diese Grammatik des Sehens verweist darauf, daß es von Anfang an ein Anliegen der Malerei war, das Bild zu transzendieren, eine bildliche Autonomie jenseits des Abbildes zu schaffen. Einen Raum zu kreieren, der Pforten in eine andere Dimension öffnet, in eine Welt hinter Farbe, Faktur und Motiv. Farbe hat keine Eigenschaft der Gegenstände, sondern nur eine visuelle Erscheinung, die von der Oberflächenstruktur der Dinge in der Weise abhängt, ob diese einen bestimmten Teil des Wellenspektrums des Lichts zurückwerfen, der zudem noch von unserem Wahrnehmungsapparat mitbestimmt wird. Die Flächigkeit von Malerei kann anerkannt und thematisiert werden, sie kann aber auch als ein Hindernis gewertet werden. Erst durch seine erfolgreiche Überwindung kann ein Bild im Kopf des Betrachters entstehen. Künstlerhandschrift, Faktur, Textur. Es wird durch die Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungswilligkeit des Betrachters ersetzt, wodurch dieser wiederum auf die Grammatik des Sehens verwiesen wird.


    Haimo Hieronymus betätigt sich künstlerisch vielfältig in der Malerei wie der Collagenproduktion, er erstellt Objekte, Holzschnitte, Radierungen, Zeichnungen und publiziert Künstlerbücher. Den bekannten Formen und Motiven des Pop unterlegt der poetische Realist einen pessimistischen Grundton: Die kräftig–bunten Farben der strahlenden Konsumwelt der einstigen Pop–Artisten sind einem gebrochen Farbspektrum gewichen, ihr Auftrag zeigt sich bewusst unvollkommen, die Botschaften bleiben skeptisch. Mit kleinen, meist schwarz/weißen Collagen liefert der Künstler schwarze Satire, ohne das vordergründig Lächerliche nutzen zu müssen. Die Bildfragmente – assoziativ kommentiert durch Textfragmente – drehen sich teilweise derart ineinander, daß die Grundmotivik ins Hintertreffen gerät. Hat der Betrachter den unmittelbaren Text-Bildeindruck verarbeitet, konkretisieren sich die Motivkonglomerate und erkennbar werden scheinbar bekannte Bilderwelten, quasi Ikonen des Alltags. Allerweltsfotographien werden Auslöser privatester Kontroversen, da die verwendeten Motive zerlegt und neu synthetisiert werden. Haimo Hieronymus erhebt die hybride Formensprache des Fragmentarischen, Brüchigen, Uneinheitliche und Diskontinuierliche zum Gestaltungsprinzip und korrespondiert mit dem psychosozialen Profil des ungebundenen, flexiblen Menschen, dessen Lebensplanung mehr denn je dem “Würfelwurf” abhängt ist.


    Das Bild ist Materie, kein Anschauungsmaterial. Material, das zerstört werden kann, um es neu zu fügen, andere Gedanken zu formulieren, neue Zusammenhänge zu erschließen. Haimo Hieronymus repräsentiert den Wert des Authentischen und differenziert klar nach dem, was anwesend und was anschaulich ist. Man erkennt die Schrift erst durch das Licht. Andererseits ist Licht, das nicht irgendetwas beleuchtet, gar nicht sichtbar. Unser Visualisierungssystem benutzt Linien, um die Dinge zu begrenzen und damit zu zeigen, daß sie da sind. Aber wenn das System nicht weiß, was etwas ist, dann kann es das auch nicht erkennen und dir sagen, was es ist. Der Tastsinn des Beschauers wird angeregt, um wieder negiert zu werden. Dabei entsteht kein Schock, sondern ein subtiler Dialog zwischen Bild und Betrachter, zwischen Materie und Fügung. Anstatt eines beliebigen Dekors der Geschwindigkeit entsteht eine leise Schwingung, eine Vibration in der Oberfläche von Bild und Text. Diese fügt das Bild zusammen, nicht Linien oder Linienkonstrukte für sich: Sie sind eingebunden in eine Gesamtabsicht der Komposition. Aufgelöste Flächen in beständigem Schwingen, im Gespräch und Streit mit den Lineaturen. Rasterstrukturen übersetzt der Maler in farbsatte Bilder. Die dabei verwendete Lackfarbe lässt den Blick an der Oberfläche abperlen wie Regentropfen auf einer Motorhaube.


    Einen besonderen Raum in der Arbeit von Haimo Hieronymus nehmen die Künstlerbücher ein. In der Menschheitsgeschichte ging die Entwicklung der Technik stets mit der des Geistes einher. Man kann nur erahnen, welch große Auswirkung die neue Technik im Buchdruck auf die Gesamtkultur gehabt hat, insbesondere aber auf Literatur und bildender Kunst. Von der Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Bücher haben die Menschen stets gewusst. Für die Buchtradition bedeutete das letzte Jahrhundert allerdings eine einschneidende Zäsur. Das Künstlerbuch hat es daher beim Betrachter schwerer als das Bild. Das liegt nicht zuletzt daran, daß man es aufschlagen muß und nicht an die Wand nageln kann.


    Die Deck-Schutzblätter der Künstlerbücher von Haimo Hieronymus spiegelt den Inhalt wider. Der Leser, Betrachter kann so erahnen was zu erwarten ist. Ein Bild ist keine Illustration, es ist ein eigenständiger Informationsträger. Text und Bild ergeben ein sich gegenseitig unterstützendes Gefüge, bleiben trotzdem eigenständig verständlich. Genauso wenig, wie alle Schriftteile sofort ersichtlich sind, erscheinen die diffizilen Strukturen der Grafik auf den ersten Blick nicht lesbar, erst das nähere Betrachten, je eingehender, desto besser – legt geradezu schichtweise die Bild- und Textinformationen frei.


    Der Betrachter muß sich den Sinn entschlüsseln, erschließen. Eine Allgemeingültigkeit ist immer fraglich, da alle Bilder zwar im selben Kontext stehen, jedes für sich jedoch seine Eigenständigkeit bewahrt, eine Abgrenzung aber ist nicht unbedingt von vorne herein gegeben, Verzahnungen sind vorhanden.


    Jedes Thema benötigt sein individuelles Vorgehen. Alle Platten werden mit verschiedenen Werkzeugen behandelt, die thematischen Unterschiede werden dem Betrachter durch das verschiedenartige Behauen und Kratzen deutlich. Mal wird mit heftigen gestischen Schmissen gearbeitet, mal verweilt der Beitel feinfühlig in kleinsten Strukturen. Mal tanzt der Stichel gerade beim Zeichnen von größeren Zusammenhängen großzügig über die Druckplatte, mal bewegt er sich, bei den Untersuchungen zu Körperteilen beispielsweise, eher zaghaft über das Holz.


    Während man seinen Zeichnungen vor allem mit dem Strich assoziiert, hört man hier, bei seinen sehr körperlichen Holzschnitten, fast die Geräusche der Sägen und der Beitel, hört das Kratzen und Splittern und Ritzen während ihrer Herstellung. Das Gewachsene des Holzes wurde zerstört, dem Material brachial Gewalt angetan. Und dachte man bei Haimos Hieronymus Malerei, nur mit allergrösster Anstrengung sei zu verhindern, daß der Blick abperlt, hat man nun den Eindruck, man bleibt hängen in den vehementen Schnitten, den rissigen Rändern und den Spalten.


    Manche Platten werden verworfen, andere werden hingeworfen und bleiben liegen, zeigen ihre Kraft und werden zu einer Auflage gedruckt. Nach der Bearbeitung ist die Aussage so, daß der Betrachter etwas damit anfangen kann.


    Haimo Hieronymus variiert nicht, er wiederholt. Sich, sein Thema, seinen Kunstgestus, seine Typen. Beim Künstlerbuch »Faszikel« versuchen seine Blicke oft Geringfügigkeiten und Nebensächliches zu erfassen, zu durchschauen. So wie auch die gesehenen Strukturen ihre Widerstände bieten, muß für ihn durch die Stahlnadel, die sich direkt in das Metall frisst, ein körperlicher Widerstand entstehen.Wichtig ist, daß das Beobachtete im Verhältnis zu dem, was an Gedanken, an Klischees und Vorwissen im Kopf ist, immer wieder in Konkurrenz und Widerstreit tritt.


    Die in der Natur entstandenen Zeichnungen wurden im Atelier nicht weiter überarbeitet. Zwar wurden auf der Platte weitere Ätzungen durchgeführt, aber die Kaltnadel blieb, wie sie am Objekt entstanden war. Ein Teil der Kaltnadelzeichnungen entstand nicht direkt am Objekt. Haimo Hieronymus hat korrodierte Zinkplatten aus flach geklopften Dachrinnen verwendet, die ihre eigenen Strukturen, ihren warmen Plattenton mit einbringen konnten. Teilweise waren die Oxidationsschäden für die direkte Überarbeitung zu stark und wurden durch Schleifpasten und Dreikanntschaber nivelliert. Die Platten wurden daraufhin zum Teil mehrmals geätzt. Zu entscheiden, wann eine Platte für seine Zwecke zufriedenstellend erschien, hat er seinem Vertrauen in die Platte überlassen. Danach wurden die Platten gedruckt.


    Das Buch wurde einfarbig mit Kupfertiefdruckfarbe auf Kupfertiefdruckbütten von Hahnemühle gedruckt. Die Farbe wurde mit etwas Leinöl geschmeidiger gemacht und zum Teil mit weiteren Pigmenten versetzt. Nach Druck der Seiten im Verbund zu einem Buchblock, wurden die Seiten zunächst mit Tusche und Feder nachbearbeitet, um bestimmte Kontrasteffekte zu erzielen. Weitere Arbeitsschritte ergaben sich durch den ergänzenden Einsatz von Holzextrakten und Schellack, welcher in je vier hauchdünnen Schichten, um die Flexibilität der Einzelseiten zu gewährleisten, aufgetragen wurde. So ergab sich letztlich ein Farbspiel im Orangebereich, kontrastiv zu den satten Tönen der Radierung und Tusche gesetzt. Die Bücher sind vernäht und gebunden worden. Die Umschlagarbeit ist ebenfalls eine nachträglich mit Holzextrakt und Schellack überarbeitete Radierung, diese mußte zum Binden weich gehalten werden, damit sie an den Kanten und Ecken umgeschlagen werden konnte.


    Haimo Hieronymus begreift das Papier als Spannungsfeld polarer Gegensätze, die er souverän überblickt. Diese klare Sicht verdankt sich in hohem Masse seinen umfangreichen Kenntnissen der Literaturgeschichte. Seine Meisterschaft beruht auf seinen Kompositionen mit der einzigartigen Verbindung von Form und Farbe, bei der aber die Freiheit des Pinselstrichs, die Spontaneität des Eindruckes, kurz: die Impression, eine ungleich nachrangige Bedeutung hat. Er verzichtet auf Interpretationen von einzelnen Figuren, beruft sich vielmehr auf die Logik der Komposition und die innere visuelle Freiheit des Künstlers. Gerade in der Lebendigkeit des Farbauftrags, der zunehmenden Verselbstständigung des malerischen Pinselstrichs von seiner gegenstandsbezeichnenden Funktion erkennt man seine Handschrift. Haimo Hieronymus erreicht mit seiner Arbeitsweise, daß auf zahlreichen Zeichnungen nicht nur der visuelle Sinn des Betrachters angesprochen wird, sondern die Gesamtheit aller Sinneswahrnehmungen.


    Matthias Hagedorn



    Über Künstlerbücher unter: http://www.kultura-extra.de/li…igoni_Hieronymus_2007.php


    Zum Projekt »Unbehaust«: www.hoerspiel-labor.de

  • Elektronorma - ein Ausstellungsprojekt


    Peter Meilchen und Haimo Hieronymus setzen mit dem Projekt "elektronorma" konsequent Konzeptionen aus den vergangenen Jahren gemeinsamen Arbeitens fort. Es ging 1998 bei "Q-Watching" um die Befragung von Landschaft und Landschaftsvorstellungen, um das gemeinsame Bewusstewerden des Sehens und Gesehenwerdens, auch um die Möglichkeiten und Grenzen von Material als Bild- und Ausdrucksträger. Dokumentiert in der Mappe "Q-Watching" ein oppulentes Bildwerk. Im Jahre 2000/01 wurde diese Frage zu einem "Dialog", einem bildnerischen Gespräch über die Wahrnehmung der Realität. Die Ausstellungen beim Kunstverein Dorsten und im Museum Winterswijk konnten zu grundlegendes Fragen über die eigenen Postionen in der Gegenwart anregen. Das folgende Projekt "Flimmern" musste dann abgebrochen werden, letztlich nur um Schlüsse für "elektronorma" zu ziehen.


    Die beiden Künstler haben sich das Spielen, die Reflexion über das Spielen zur Grundlage ihrer Kunst gemacht. Kunst als letztmögliche Form des Spiels. Sie verbinden, vergleichen, stellen infrage und finden letztlich für jedes Bild eine eigene Spielregel. Sie spielen auch mit Normen, fragen nach. Queren die betretenen Wege der Geistes- und Naturwissenschaften, nutzen deren Potentiale und kochen ihre eigene Kunstsuppe.


    Es gibt sicherlich historische, kulturelle wie zweckgerichtete Gründe, die dazu führen, dass hier und inzwischen in ganz Europa der allgemeine wie spezielle Hang zur Normierung zunimmt. Alles, vom Apfel bis zum Highendgerät, wird durchnormiert, kompatibel gemacht. Genau hier liegt immer wieder eine Chance für die Kunst, sie kann sich entziehen, ausweichen, andere Wege suchen. Die Normierung befreit vom Druck sich neu erfinden zu müssen, eine Verweigerungshaltung kostet Energie. Synergien sind zum Markenzeichen eines neuen Turbokapitalismus geworden. Hieronymus und Meilchen gehen mit ihrem elektronorma - Konzept zu den Anfängen dieser Normierwut zurück. Dazu nutzen sie lediglich eine Ausgabe der Zeitschrift Elektronorm aus dem Jahre 1954. Die Texte und Schaltzeichnungen werden neuen Kontexten zugeordnet und so ob ihres Inhalts befragt. Ein zum Teil neckisch-ironisches, zum Teil sehr ernsthaftes Spiel mit Bedeutungen. Ob die Wörter "Pressmutter" und "Drosselspule" nun wirklich nur in der Elektrotechnik verstanden werden oder in anderen Umfeldern andere Assoziationen wecken, kann dabei niemals vorausgesagt werden. Die uns meist überwältigende Vielheit von Wortkürzeln, die uns täglich entgegenspringt, hinterlässt nur vage Erinnerungen. Die Bilder bedienen sich des eingefahrenen Jargons, verdrehen ihn und führen ein sprachlich-bildnerisches System schließlich an der Nase herum. Denn die Wörter und Bilder geben nur scheinbar vor etwas lediglich zu beschreiben, die schaffen immer auch eine neue Realität.


    Vorgestellt wird auf Elektronorma auch das Künstlerbuch »Idole«. In einer Situation, wo Preisrekorde auf Auktionen regelmäßig mit künstlerischer Bedeutung verwechselt werden, bietet sich die Arbeit an Künstlerbüchern als Korrektiv an. Nach den Künstlerbüchern »Unbehaust« und »Faszikel« beschließen der bildende Künstler Haimo Hieronymus und der Lyriker A.J. Weigoni mit dem Künstlerbuch »Idole« ihre Trilogie. Ihr bisher gezeigter Aus–Drucks–Wille erinnert im Zeitalter der totalen Kommunikation vor allem daran, daß künstlerischen Äußerungen eine handwerkliche Befähigung zugrunde liegt. Diese Prägespuren sind sicht– und fühlbar. Sei es die Assoziation von Wärme, der Geruch oder die Schönheit des Papiers schlechthin: Mitunter holt Hieronymus seine Botschaften sogar mit der Kettensäge aus dem Material. Sei es die Zersprengung und semantische Neudeklination der Sprache in den Gedichten von Weigoni. Doch immer sind sowohl Hieronymus Kerben, als auch Weigonis Wortgefüge gleichzeitig auch Spuren in dem oder gegen das Alltagserleben. Seit fünf Jahren entwickeln und gestalten die Artisten gemeinsam Künstlerbücher und übersetzen Wort–Botschaften in eine sinnenhafte Bildsprache, die vor allem die kulturellen Funktionen des Buches bezeugen, seine Funktionalität hingegen befragen.


    Elektronorma, in der Werkstattgalerie Der Bogen, in Arnsberg am 3. Juni ab 17.00 Uhr


    Weitere Informationen über Künstlerbücher von Haimo Hieronymus unter: http://www.kultura-extra.de/li…igoni_Hieronymus_2007.php


    Zum Projekt »Unbehaust«: www.hoerspiel-labor.de

  • In einer Situation, wo Preisrekorde auf Auktionen regelmäßig mit künstlerischer Bedeutung verwechselt werden, bietet sich die Arbeit an Künstlerbüchern als Korrektiv an. Nach den Künstlerbüchern »Unbehaust« und »Faszikel« beschließen der bildende Künstler Haimo Hieronymus und der Lyriker A.J. Weigoni mit dem Künstlerbuch »Idole« ihre Trilogie. Ihr bisher gezeigter Aus–Drucks–Wille erinnert im Zeitalter der totalen Kommunikation vor allem daran, daß künstlerischen Äußerungen eine handwerkliche Befähigung zugrunde liegt. Diese Prägespuren sind sicht– und fühlbar. Sei es die Assoziation von Wärme, der Geruch oder die Schönheit des Papiers schlechthin: Mitunter holt Hieronymus seine Botschaften sogar mit der Kettensäge aus dem Material. Sei es die Zersprengung und semantische Neudeklination der Sprache in den Gedichten von Weigoni. Doch immer sind sowohl Hieronymus Kerben, als auch Weigonis Wortgefüge gleichzeitig auch Spuren in dem oder gegen das Alltagserleben. Seit fünf Jahren entwickeln und gestalten die Artisten gemeinsam Künstlerbücher und übersetzen Wort–Botschaften in eine sinnenhafte Bildsprache, die vor allem die kulturellen Funktionen des Buches bezeugen, seine Funktionalität hingegen befragen.

    Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni erkunden die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung, der Schnittstelle zwischen Kunst und Sprache. In mehreren Ausstellungen haben sie die Verwendung von malerischen und sprachlichen Zeichen als Elementen der Bildkomposition oder die Vereinnahmung der Sprachzeichen durch die Malerei vorgeführt. Ein Bild beschreiben heißt für diese Artisten auch, es mit Schrift übermalen. Die Beschreibung übersetzt es in ein anderes Medium. Ein Bild stellt das andere in Frage. Eine Schicht löscht jeweils die vorige aus oder ab, und die Optiken/ Perspektiven wechseln. Die Grenzen zwischen Plastik, Malerei und Wort sind fließend. Manchmal geht Schrift dynamisch in Grafik über. Das Gedicht selbst gerinnt zur Collage, zu einer Mischung aus Beschreibung, Grafik und Episode. Der Text fließt, hält an, rollt und wird in schier endlosen Bilderketten mit Genitivkonstruktionen aneinander gereiht. Haimo Hieronymus glaubt, daß großer Kunst eine tiefe Ordnung zugrunde liegt, daß sie das Faktische übersetzt und neu strukturiert, sie wieder auf gewalttätige oder untergründige Art und Weise auf an das Nervensystem loslässt. Jedes Bild ist ein ironisches Such– und Rätselbild, jedes handelt von der Auflösung und Zerlegung des Bildes, jedes dekonstruiert sein Motiv und feiert, verschmitzt grinsend, doch nur eines: den Triumph der Malerei. Bei Hieronymus durchlebt die Malerei ihre Auferstehung aus dem Geist der Reproduzierbarkeit. In der Verbindung aus Zeichnung und Malerei findet er das Potenzial, akkumuliert sich die benötigte Kraft, das Plus an empfundener Intensität aufzunehmen und in Bildsprache umzuwandeln, das sein leidenschaftliches Verhältnis zur Vorlage und seiner Umwelt bestimmt.

    Augenblicklichkeit der Aufmerksamkeit. Fast alle hergestellten Bilder sind heutigentags errechnete Bilder. So ist es vollkommen gleichgültig, ob ein Mensch oder eine Maschine rechnet. Der nicht errechnete Teil ist nicht errechenbar, es ist Spiel, kann so zur Kunst werden. Von Bedeutung ist nur, daß dabei die Verbindung von Schrift und Zahl zugrunde liegt und nicht mehr die von Schrift und Bild. Eine Bedeutung kann sich so erst im Prozess entwickeln, sie bleibt allerdings immer valent und vom Betrachter abhängig. Zwischen Text und Bild, sei es Holzschnitt, Radierung, Leimhochdruck, Zeichnung oder Gemälde, entstehen Welten der gegenseitigen Vereinnahmung, jenseits gegenseitiger oder angestrebter Illustration.

    In der Menschheitsgeschichte ging die Entwicklung der Technik stets mit der des Geistes einher. Man kann nur erahnen, welch große Auswirkung die neue Technik im Buchdruck auf die Gesamtkultur gehabt hat, insbesondere aber auf Literatur und bildende Kunst. Mit dem Buchdruck ergibt sich über die Einzelsprachen hinaus ein interessantes Muster, ein System an Veränderungen, und zwar vom Latein zu den Volkssprachen zur Vermischung und schließlich zur Reinigung. Die Reinigung wäre sinnlos ohne die Vermischung, die Vermischung hängt zusammen mit der Verschiebung hin zum Schreiben in der Volkssprache anstatt in Latein. Die Menschen im Mittelalter haben sich darüber keine Gedanken gemacht. Da gibt es Latein für die Kommunikation der Eliten und die Volkssprache für alles andere. Aber sobald man zu schreiben und zu drucken beginnt, stellt man sich Fragen wie: Ist das elegant oder die hohe Form der Sprache?


    Der Buchdruck wurde um vom Mainzer Johannes Gensfleisch, alis Gutenberg erfunden. Grundgedanke der Erfindung Gutenbergs war die Zerlegung des Textes in alle Einzelelemente wie Klein- und Großbuchstaben, Satzzeichen, Ligaturen und Abkürzungen, wie sie aus der Tradition der mittelalterlichen Schreiber allgemein üblich waren. Diese Einzelelemente wurden als seitenverkehrte Lettern in beliebiger Anzahl gegossen, schließlich zu Wörtern, Zeilen und Seiten zusammengefügt. Urform oder Prototyp für jeden Buchstaben war der Stempel. In die Stirnseite eines Stahlstifts wurde das Zeichen geschnitten, so daß sich ein seitenverkehrtes präzises Relief ergab. Nun wurde der jeweilige Stempel, die Patrize, in einen rechteckigen Block aus weicherem Metall, in der Regel wohl Kupfer, "abgeschlagen", d. h. senkrecht mit dem Schlag eines Hammers eingetieft. Die so erzeugte Matrize mußte nachbearbeitet und begradigt werden, so daß eine rechtwinkliger Kubus mit geraden Seiten entstand. Das seitenrichtige Bild sollte eine einheitliche Tiefe haben, weshalb die Oberfläche mit einer Feile bearbeitet wurde. Um den Guß einer Letter zu bewerkstelligen, entwickelte Gutenberg das Handgießinstrument. Zwei Teile umschließen einen rechteckigen Gießkanal, dessen eines Ende durch Einsetzen der Matrize verschlossen wurde. Nach dem Guß der Lettern im Handgießinstrument mußte der Angußzapfen entfernt werden. Jede Letter hatte eine "Sollbruchstelle", so daß alle Lettern automatisch die gleiche Höhe erhielten. Das Handgießinstrument, der bedeutendste Teil der Erfindung, ermöglichte es, im schnellen Wechsel die jeweils benötigten Mengen an unterschiedlichsten Lettern zu gießen. Das Gußmetall war eine Legierung aus Blei, Zinn und weiteren Beimischungen, die ein schnelles Erkalten und eine ausreichende Dauerhaftigkeit unter dem hohen Druck der Presse gewährleistete.


    Von der Kostbarkeit des geschriebenen Wortes und der Bücher haben die Menschen stets gewusst. Für die Buchtradition bedeutete das letzte Jahrhundert allerdings eine einschneidende Zäsur. Künstler– Maler– oder eben Künstlerbücher findet man nicht in einem Supermarkt für Bücher. Künstler sind individualistische Zeitgenossen, die ihre Arbeiten meist nicht professionell vermarkten, sonst hießen sie Händler. Weil die Bücher so selten sind und meist auch nur in kleinen Auflagen oder als Unikate erscheinen, werden diese limitierten Auflagen auch als ‘rare books’ bezeichnet. Das Künstlerbuch hat es beim Betrachter schwerer als das Bild. Was nicht zuletzt daran liegt, daß man es aufschlagen muß und nicht an die Wand nageln kann. Künstlerbücher sind so vielsprachig und vielschichtig wie die Sprache der modernen Kunst und wie die der menschlichen Kommunikation überhaupt. Wenn diese ausgestellt werden, so handelt es sich immer um einen Kompromiss, denn das Buch will gelesen, berührt werden, hier muß man es allerdings schonen. Künstlerbücher sind ein eigenständiges Genre der bildenden Kunst. Sie können als wertvolle Luxusausgaben mit Originalgraphik, Multiples oder unlimitierte Auflagen auf fotokopiertem Papier konzipiert sein.

    Das Künstlerbuch gibt es seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Es ist eines der Ausdrucksmittel der Avantgarden der Moderne. Wo Komponisten Polystilistik, Polyrhythmik und Polymelodik erkundeten und Maler Perspektiven stürzten, experimentierten Dichter und Typographen, Visionisten und Philosophen an neuen Formen des Lesens. Stéphane Mallarmés »Le coup des dés...«, die typographischen Arbeiten von Marinetti oder Schwitters einerseits, Dubuffet und Matisse andererseits sind Grund– und Meilensteine dieser Kunst. Frankreichs große Meister der Malerei schufen die ersten großen Künstlerbücher in der Sprache der Maler, wie »Jazz« von Matisse gedruckt, oder das Unikat–Buch gemalt, beide zunächst angelehnt an die Tradition der illustrierten Bücher. Vor allem aber die Konzeptkunst gab dem Künstlerbuch einen Schub und sicherte ihm mit »Konkreter Poesie«, tautologischen und linguistischen Experimenten einen Platz in der Kunstgeschichte. „Es handelt sich um eine Reminiszenz an das Kalte und Philosophische, im Gegensatz zu den Werken, die vorrangig nach dem traditionellen Input über die Wahrnehmung des sichtbar–fühlbaren arbeiten", schrieb Germano Celant. Künstlerbücher werden seit 1960 als eigene Kunstgattung betrachtet. Künstler wie Dieter Roth, Daniel Spoerri oder Anselm Kiefer arbeiten auf unterschiedlichste Weise experimentell mit Büchern neben anderen Kunstgattungen wie Malerei oder Bildhauerei. Warja Lavater oder Barbara Fahrner gestalten ihre künstlerischen Aussagen ausschließlich in Buchform. Das Buch kann eigene Wege gehen, die Abseitigkeiten ausloten.

    Die Deck–Schutzblätter der Künstlerbücher von Haimo Hieronymus spiegeln den Inhalt wider. Der Leser, Betrachter kann so erahnen, was zu erwarten ist. Ein Bild ist ein eigenständiger Informationsträger. Text und Bild ergeben ein sich gegenseitig unterstützendes Gefüge, sie können die jeweils andere Bedeutung beeinflussen und bleiben trotzdem eigenständig verständlich. Genauso wenig, wie alle Schriftteile sofort ersichtlich sind, erscheinen die diffizilen Strukturen der Grafik auf den ersten Blick lesbar, erst das nähere Betrachten, je eingehender, desto besser – legt geradezu schichtweise die Bild– und Textinformationen frei. Die Sehgewohnheiten verstellen hier oft den Blick für die eigentlichen Informationen. Grafiken entwickeln ihre eigenen Spielregeln des Sehens. Jedes Künstlerbuch verlangt in seiner Möglichkeit des Übersetzenden als Verständnis eine eigene Metasprache.

    Der Betrachter muß sich den Sinn entschlüsseln, erschließen. Eine Allgemeingültigkeit ist immer fraglich, da alle Bilder zwar im selben Kontext stehen, jedes für sich jedoch seine Eigenständigkeit bewahrt, eine Abgrenzung aber ist nicht unbedingt von vorne herein gegeben, Verzahnungen sind vorhanden.

    Jedes Thema benötigt sein individuelles Vorgehen. Alle Platten werden mit verschiedenen Werkzeugen behandelt, die thematischen Unterschiede werden dem Betrachter durch das verschiedenartige Behauen und Kratzen deutlich. Mal wird mit heftigen gestischen Schmissen gearbeitet, mal verweilt der Beitel feinfühlig in kleinsten Strukturen. Mal tanzt die Kaltnadel gerade beim Zeichnen von größeren Zusammenhängen großzügig über die Druckplatte, mal bewegt sie sich, bei den Untersuchungen zu Körperteilen beispielsweise, eher zaghaft über das Metall, spürt das Ungesagte auf. Es wird deutlich, daß Haimo Hieronymus das Zeichnen als eine Art Daseinsform versteht, einen Prozeß, in dem das Leitmotiv seiner Arbeit physisch wie psychisch reflektiert wird: die Erweiterung des Körpers in den Raum.

    Während man Zeichnungen vor allem mit dem Strich assoziiert, hört man hier, bei seinen sehr körperlichen Holzschnitten, fast die Geräusche der Sägen und der Beitel, hört das Kratzen und Splittern und Ritzen während ihrer Herstellung. Das Gewachsene des Holzes wurde zerstört, dem Material brachial Gewalt angetan. Und dachte man bei Haimo Hieronymus Malerei, nur mit allergrößter Anstrengung sei zu verhindern, daß der Blick abperlt, hat man nun den Eindruck, man bleibt hängen in den vehementen Schnitten, den rissigen Rändern und den Spalten.

    Manche Platten werden verworfen, andere werden hingeworfen und bleiben liegen, zeigen ihre Kraft und werden zu einer Auflage gedruckt. Nach der Bearbeitung bleibt der Betrachter auf sich zurückgeworfen als Gast im Bild und muß zusehen, ob er etwas damit anfangen kann.

    Die fragilste der literarischen Formen gilt gemeinhin als deren teuerste, und dies im zwiefachen Sinn: Die Randständigkeit der Lyrik abseits des ökonomischen Gewinns steht in direkter Proportion zu der hohen symbolischen Wertschätzung, mit welcher man sie bedenkt. Lyrik scheint ein Gut zu sein, das zugleich sein eigener Marktpromoter ist. Wenn es gut geht, schafft sich Lyrik eine Gesellschaft, die bereit ist, sie am Leben zu erhalten.

    Das Künstlerbuch »Unbehaust« tariert den Widerspruch zwischen epischem Anspruch und lyrischer Subjektivität, zwischen dem Ehrgeiz, die Virtuosen einzuholen, und der Sehnsucht nach einer ganz anderen, nicht verdinglichten, weltversöhnenden Poesie aus. Die von Haimo Hieronymus gesetzte expressive Farbigkeit korrespondiert mit dem Stachel der Analyse in Weigonis Texten wie umgekehrt die relativierende Denkhaltung derselben mit den ambivalenten Bedeutungen der Farben Schwarz, Rot und Weiß, die zusammenwirken, während sie Kontraste bilden. Im Wechselspiel der Elementarkräfte ist der Mensch eine vernachlässigbare Größe, er ist ihr Spielball. Seine Existenz ist endlich, die der Elementarkräfte hingegen unerschöpflich. Der Mensch als Fußnote der Schöpfung: Das Skandalon dieser Erkenntnis besteht in der Einfachheit, mit der sie die großen Fragen der Existenz weniger verhandelt als ergreifend zur Darstellung bringt. Die Menschen sind nirgendwo zu Hause, sie haben keine soziale Heimat, kein Milieu, keine Codes. Sie haben kein genaues Woher und Wohin, ihre Menschengewissheit liegt außerhalb der Handlung, außerhalb jenes Raumes, den eine Perspektive vielleicht suchen, aber auf keinen Fall mehr "festhalten" kann. In diesem Künstlerbuch wird die chaotische Vielfalt der Wirklichkeit streng literarisiert und dabei eine eigene poetische Wirklichkeit hergestellt, verbunden mit einem unbedingten Willen zur künstlerischen Form.

    Haimo Hieronymus variiert, er wiederholt auch, teilweise bis zur Erschöpfung, er holt wider sich. Sich, sein Thema, seinen Kunstgestus, seine Typen. Beim Künstlerbuch »Faszikel« versuchen seine Blicke oft Geringfügigkeiten und Nebensächliches zu erfassen, zu durchschauen. So wie auch die gesehenen Strukturen ihre Widerstände bieten, muß für ihn durch die Stahlnadel, die sich direkt in das Metall frisst, ein körperlicher Widerstand entstehen. Wichtig ist, daß das Beobachtete im Verhältnis zu dem, was an Gedanken, an Klischees und Vorwissen im Kopf ist, immer wieder in Konkurrenz und Widerstreit tritt. Die in der Natur entstandenen Zeichnungen wurden im Atelier nicht weiter überarbeitet. Zwar wurden auf der Platte weitere Ätzungen durchgeführt, aber die Kaltnadel blieb, wie sie am Objekt entstanden war. Seine 'Mental Maps' sind keine funktionalen Karten, die von A nach B führen, sondern eine Art zeichnerisches Reisetagebuch. Mit Bleistift und grellen Aquarellfarben mischte er abstrakte Elemente mit nahezu realistischen Architekturansichten und organischen Formen wie Baumwurzeln, Adern, Nervenbahnen. Ein Teil der Kaltnadelzeichnungen entstand nicht direkt am Objekt. Haimo Hieronymus hat korrodierte Zinkplatten aus flach geklopften Dachrinnen verwendet, die ihre eigenen Strukturen, ihren warmen Plattenton mit einbringen konnten. Teilweise waren die Oxidationsschäden für die direkte Überarbeitung zu stark und wurden durch Schleifpasten und Dreikantschaber nivelliert. Die Platten wurden daraufhin zum Teil mehrmals geätzt. Zu entscheiden, wann eine Platte für seine Zwecke zufriedenstellend erschien, hat er seinem Vertrauen in die Platte überlassen. Danach wurde gedruckt.

    Das Buch wurde einfarbig, meist neutralschwarz mit Kupfertiefdruckfarbe auf Kupfertiefdruckbütten von Hahnemühle gedruckt. Die Farbe wurde mit etwas Leinöl geschmeidiger gemacht und zum Teil mit weiteren Pigmenten versetzt. Nach Druck der Seiten im Verbund zu einem Buchblock, wurden die Seiten zunächst mit Tusche und Feder nachbearbeitet, um bestimmte Kontrasteffekte zu erzielen. Weitere Arbeitsschritte ergaben sich durch den ergänzenden Einsatz von Holzextrakten und Schellack, welcher in je vier hauchdünnen Schichten, um die Flexibilität der Einzelseiten zu gewährleisten, aufgetragen wurde. So ergab sich letztlich ein Farbspiel im Orangebereich, kontrastiv zu den satten Tönen der Radierung und Tusche gesetzt. Die Farbe gibt diesen Bildern nichts und nimmt ihnen nichts; ein Plus oder Minus an dem, was man ‹Schönheit› nennen könnte, ist von keinem Belang für diese Bilder; sie wirken durch ihren Witz, ihre Einfälle, ihren Sarkasmus und vor allem durch ihren Ernst. Die Bücher sind vernäht und gebunden worden. Die Umschlagarbeit ist ebenfalls eine nachträglich mit Holzextrakt und Schellack überarbeitete Radierung, diese mußte zum Binden weich gehalten werden, damit sie an den Kanten und Ecken umgeschlagen werden konnte.

    Haimo Hieronymus begreift das Papier als Spannungsfeld polarer Gegensätze, die er souverän überblickt. Diese klare Sicht verdankt sich in hohem Masse seinen umfangreichen Kenntnissen der Kunst- und Literaturgeschichte. Seine Meisterschaft beruht auf seinen Kompositionen mit der einzigartigen Verbindung von Form und Farbe, bei der aber die Freiheit des Pinselstrichs, die Spontaneität des Eindruckes, kurz: die Impression, eine ungleich nachrangige Bedeutung hat. Er verzichtet auf Interpretationen von einzelnen Figuren, beruft sich vielmehr auf die Logik der Komposition und die innere visuelle Freiheit des Künstlers. Gerade in der Lebendigkeit des Farbauftrags, der zunehmenden Verselbstständigung des malerischen Pinselstrichs von seiner gegenstandsbezeichnenden Funktion erkennt man seine Handschrift. Haimo Hieronymus erreicht mit seiner Arbeitsweise, daß auf zahlreichen Zeichnungen nicht nur der visuelle Sinn des Betrachters angesprochen wird, sondern die Gesamtheit aller Sinneswahrnehmungen.

    Der allseits flexibele Mensch des 21. Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema des bildenden Künstlers Haimo Hieronymus und des Schriftstellers A.J. Weigoni. Das Wort als Bildstörung, Eindringling, Mittler zwischen Wörtlichkeit und Wortwörtlichkeit hat Hieronymus immer wieder eingesetzt. Nicht als Schrift gewordenen Strich Cy Twomblys und auch nicht als naive Signatur Anselm Kiefers, sondern nach Art kodierter Typografien. Das transitorische Element, das ihre Arbeit an dem Projekt »Idole« durchzieht, macht sich schon bemerkbar bei der Präsentation. Etwas Improvisiertes lebt in der Syntax dieser Druckgraphik, wir sehen das nicht, weil es sichtbar ist, es ist sichtbar, weil wir es sehen.

    Begann die Trilogie von A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus mit einer Kombination aus Texten und Holzschnitten, einer der bekanntesten und ältesten Hochdrucktechniken, wurde diese Vermengung von Gedicht und Bildgewebe bei »Faszikel« mit der Tiefdrucktechnik der Radierung fortgesetzt, hier in Kombination aus durchscheinenden Papieren und Texten, auf Lasuren mit Schellack und warm leuchtenden Holzextrakten, so bildet »Idole« mit seinen speziellen Leimformdrucken eine technische Neuerung und gleichzeitig Klammer, denn hier werden Elemente des Hoch– und des Tiefdrucks kombiniert. Als Ergebnis zeigt sich ein fast gezeichnet wirkendes Bild. Die acht Grafiken beschäftigen sich mit der möglichsten Reduktion von Körpern, von Torsi, auf ein Spiel von Formideen mit den scheinbaren Ungleichgewichten zwischen Linie und Fläche, Proportion, den Illusionen von Unzulänglichkeit menschlicher Erscheinung. Trotzdem fühlt man sehend einen sehnsüchtigen Drang zur Harmonie, ja zum Schönen im klassischen Sinn. Einmal angeschaut, wirkt ein Bild von ihm wie ein Angelhaken im seelischen Bildarchiv. Diese Grafiken zeigen sich so letztlich als fast hymnische Liebeserklärung an die vor allem weibliche Schönheit jenseits der einzelnen Frau.

    Puristen nehmen A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus diese Grenzüberschreitungen übel, weil diese Form von "Interdisziplinarität" nicht der Theoriebefriedigung, sondern der lustvollen Verblüffung dient. Wirtschaftlich gesehen ist Lyrik Unsinn, aber Betriebswirtschaft ist im Leben eben nicht alles. Lyrik wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der Form der Samisdat. Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni gehen bei dieser Trilogie vom Virtuellen ins Materielle und zielen auf ein älteres Speichermedium, das mittels neuer Medien hergestellt wird und mit analogen Medien zu gebundener Form findet. Sie schlagen mit dem Projekt »Idole« einen Steg zwischen den Künsten (Druckgrafik / Poesie). Die Entstehung einer Einheit von Schrift und Bild untersuchen Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni im Medium des Computers und setzen sie im Neheimer Atelier um. Die digitale Manufaktur produziert in diesem Fall ein »Idol«.

    Matthias Hagedorn



    Das Künstlerbuch »Idole« wird im Rahmen des Kultursommers Arnsberg am 3. Juni in der Werkstattgalerie Der Bogen, in Neheim mit der Ausstellung „Elektronorma“ vorgestellt.


    Weiterer Termin: Am 18. Januar 2008 in der Galerie Andreas Brüning / Josephinenstr. 15 / Martin-Luther-Platz / D – 40212 Düsseldorf


    Die Künstlerbücher »Unbehaust«, »Faszikel« und »Idole« sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 02932 24575