Ist Hörspielhören für euch in erster Linie eine Art Flucht aus der Realität?

  • Folgt man dieser Argumentation, dann sieht man das Hörspiel nicht als ein dem Film oder Buch gleichwertiges Kulturprodukt an. In 10 Jahren wird es sicher Hörspiele über die Gräuel des IS geben, und darunter sicher auch differenzierte und gute. Warum sollte ein Hörspiel so etwas nicht leisten können? Es ist doch keine Verrohung, wenn sich ein Hörspiel auf ernsthafte Weise mit einem Thema wie Gewalt beschäftigt.


    So wie es reine Unterhaltungsfilme und Filme mit ernsten Themen gibt, die einen erschüttern, bewegen oder sonst wie emotional packen, sollte dies doch auch bei einem Hörspiel möglich sein. Und so wie Unterhaltungsfilme auch ernste Themen wie z. B. Diskriminierung ansprechen können, können das doch auch Hörspiele.


    Den erwähnten Gespensterkrimi kenne ich nicht, aber was vulgäre Sprache angeht, kommt es bei mir auf den Kontext und den Rahmen an. Bei einem Jugendhörspiel wie den drei Fragezeichen (siehe »Der finstere Rivale) halte ich zu starke Ausdrücke für unangebracht. Bei einem Hörspiel, das auf ein erwachsenes Publikum abzielt, wäre es doch albern, wenn sich die Figuren in einem bestimmten Milieu oder in gewissen Situationen als Eierbär beschimpfen würden, statt als Arschloch.


    Ich bin ebenfalls deiner Auffassung.


    Deshalb regte mich diese ganze Diskussion auch sehr auf. Mir ist es als erwachsener Hörspiel-Hörer sehr wichtig, dass das Hörspiel auch als gleichwertiges Kulturprodukt zu all den anderen wahrgenommen wird. Ich bin jedoch der Meinung, dass man, mit der von mir geschilderten Einstellung, der Akzeptanz des Hörspiels schadet und sich damit in das eigene Fleisch schneidet. Leider stoßen meine Worte in besagtem Forum auf taube Ohren. Deshalb möchte ich hier ein wenig forschen, wie man hier dazu steht.

  • Danke Lenny!


    Eben. Pogopuschel. Ein eigenständiges Medium mit all seinen Facetten über einen Kamm scheren ist ziemlich albern. Müsste dann nicht bei der Flut an Pornofilmen die komplette Gesellschaft wild durch die Gegend bumsen? :lolz: Völliger Quark. Ein Kommentar im Sinne davon, dass man sich einfach im Genre vergriffen hat hätts auch getan, zur realistischen Darstellung mancher Begebenheit braucht man eben auch passende Worte. Ich seh da kein Problem....überhaupt keins.


    EDIT: lustig, ich höre grade Juli Zehs "Nullzeit" und das ist ganz schön hart. Wenn man da einen Gang zurück geschaltet hätte wäre die ganze Wirkung so mancher Szene und des gesamten Hörspiels viel zu seicht. Wie gesagt, ein einfacher Genrewechsel innerhalb des Mediums ist doch nicht so schwer, wem "Fick Dich" nicht liegt bleibt halt bei "Cheerio und 55" oder "Hex Hex".

  • Sind dann Themen, die allzu sehr in der Realität angesiedelt sind weniger unterhaltsam? Ist zum Beispiel ein Krimi indem es um politisch motivierte Morde, oder zum Beispiel Morde mit rassistischem Hintergrund, geht und dabei die Hintergründe im Laufe des Hörspiels auch erläutert werden, weniger unterhaltsam als die neue Folge der drei Fragezeichen?


    Öhm, nö!


    Mich unterhält ein verstörenden Wallander, ein Mord in Serie oder ein MindNapping mehr als die neuste Folge der ???. Das liegt aber nur daran das ich eben kein Kassettenkind bin und mit JustusPeterBob so rein gar nichts verbinde.




    Ist ein Hörspiel weniger unterhaltend wenn einem der Inhalt emotional sehr nahe geht? (Wenn es zum Beispiel um die Entführung eines Kindes geht.)


    Öhm, nö!


    Gerade wenn man sich in die Protagonisten hinein versetzen kann, macht es ja umso mehr Spaß. Ich kann nicht nachvollziehen wenn Perry Rhodan über das Ableben eines Schrekanders sinniert, aber ich kann (als Papa) nachvollziehen wenn der Vater eines entführten Kindes nicht gerade jugendfreie Gedanken hat, was er mit dem Entführer anstellen wird, wenn er ihn in die Finger bekommt.




    Seht Ihr eine Gefahr der Verrohung darin, wenn zum Beispiel Ausdrücke wie „Fick mich!“ wie in der neuen Folge der Gespensterkrimis vorkommen?


    Öhm, nö!


    Das ist einfach nur übertriebenes Forengehype, denn wenn dem so wäre, dann dürfte man weder "Game of Thrones" oder ähnliches im TV laufen lassen, denn dort fallen mehr F-Bombs als alles andere. Wir leben eben nicht mehr in 1985, als Hörspiele noch sauber und klinisch poliert waren. Solche zeitgemäßen Anpassungen, wie erwähnter GK, sind notwendig um "Erwachsene" am Medium zu halten. Wird ja keiner gezwungen. Vllt. sollte es demnächst so einen "explicit lyrics"-Aufkleber für alle Hörspiele für ältere Hörer mit Realitätsanspruch geben... :D



  • Solche zeitgemäßen Anpassungen, wie erwähnter GK, sind notwendig um "Erwachsene" am Medium zu halten.


    Diese Vermutung höre ich von bestimmten Machern und Fans sehr oft, aber so richtig einleuchten möchte es mir nicht. Das würde ja bedeuten, dass erwachsenen Unterhaltung zwingend Sex und Gewalt haben müssen, um zu gefallen. Selbst in der TV-Landschaft, außer von bestimmten verdächtigen wie HBO, gehen sehr viele erfolgreiche Formate ganz ohne unnötige Gewalt und Sex.Warum sollte also das Hörspiel besser und "erwachsener" dadurch werden? Gerade weil viele Szenen sehr bemüht klingen, kann es doch auch genau in die andere Richtung gehen: "Was für ein Schund ist das denn"?.


    Ich denke das unnötige Gewalt und Sex eher noch stärker dazu beitragen, dem Hörspiel das Nischendasein zu erleichtern, statt es aus der Nische herauszuheben...

  • Diese Vermutung höre ich von bestimmten Machern und Fans sehr oft, aber so richtig einleuchten möchte es mir nicht.


    Mir auch nicht. Man _kann_ das machen, wenn man es für angebracht hält, _muss_ das aber sicherlich nicht. Sowohl damals als auch heute gab/gibt es viele Hörspiele für Erwachsene, die ohne solche Zutaten auskommen.

    "Glaub nicht, ich sei verrückt, Eliot – viele haben merkwürdigere Abneigungen als diese."

  • Ich höre gerne Hörspiele aus meiner Kindheit, wenn ich mir ein Gefühl von Geborgenheit und Sorglosigkeit herbei schaffen will. Wenn man es so will, schon eine Flucht aus der Realität, mit Finanzamt, Verträgen, Terminen usw. usf..


    Ansonsten ist ein Hörspiel für mich eine schöne Ergänzung meiner ohnehin recht erfreulichen Realität. Wie ein gutes Buch, ein schönes Kleidungsstück oder ein Besuch beim Chinesen. Sie machen einfach das Leben schöner.


    Andererseits glaube ich auch, dass Hörspiele zu einer nerdmäßigen Alltagsflucht nicht taugen. Da sind andere Medien bestimmt tauglicher, weil "intensiver" und sinnlich erfahrbarer.


    Darüber hinaus finde ich schon, dass unsere Gesellschaft nicht besser wird, wenn man Schwachsinn von sich gibt wie: "Damals war es doch genauso oder noch beschissener, das ist historisch beweisbar!". Letzten Endes sollte man im Sinne einer wirklich aufgeklärten (und nicht nur pornoverseuchten) und humanistischen Gesellschaft immer wieder schauen, welche Ursachen Verrohung und Armut in der Postmoderne haben.


    Wobei Hörspiele da sicher keine Rollen spielen…. ^^

  • Wobei Hörspiele da sicher keine Rollen spielen…. ^^


    manchmal... da gibt es so goldene momente... da sitzt man nach einem hörspiel da...

    und man spürt so einen stich... denkt sich: da läuft irgendwas falsch...
    oder: mensch,das hat der autor damals schon behandelt...
    das scheint typisch menschlich zu sein...
    oder noch geiler: das könnte ich doch in meinem unmittelbaren umfeld ändern...
    also ich selbst... hörspiele können auch hängen bleiben... nachhaltig in den alltag ragen...
    vielleicht sogar eigenes denken/verhalten beeinflussen... selten, aber manchmal...

  • Ich meinte, dass Hörspiele wohl kaum zu einer Verrohung beitragen.


    Eben weil die meisten Hörspielfans sowieso humanisiert sind (bis auf Patrick, dieses wild thing! :D ). Wie du es auch beschrieben hast, es bleiben vielmehr Dinge hängen und daraus erwächst der Wunsch nach einer besseren Welt.


    Und so etwas ist doch viel besser als jemand, der von Papi ein Auslandssemester spendiert bekommt und dann behauptet, Armutsberichte wären Schwachsinn und die Menschheit wäre eh´ immer schlecht gewesen. Als hätte es Reformation, Aufklärung und die Stunde Null nie gegeben. :cursing:

  • Meine Güte, selbst in "Codename CoBRa" von den "drei ???" kommt "Gossensprache" vor, was soll's?
    Außerdem sind wir uns doch wohl alle einig, dass Hörspiele - leider - noch immer ein Nischendasein führen. Wer also glaubt, dass ein Kraftausdruck in einem Hörspiel irgendwelche gesellschaftsrelevanten Auswirkungen hat, der neigt meiner Meinung ein ganz klein wenig zum Überziehen.


    Realitätsnähe ist in Büchern und Filmen oft ein Qualitätsfaktor. Wenn etwas "aus dem Leben gegriffen" ist, wie es dann immer so schön heißt, wenn man sich mit Personen oder Situationen identifizieren kann, in sie hineinversetzen kann, dann ist das gut! Und wenn es so was in Hörspielen gibt, finde ich es grundsätzlich entsprechend auch gut.


    Allerdings kommt mir die Diskussion über besagte Szene in besagtem Gespenster-Krimi inzwischen schon so lachhaft vor, dass vielleicht mal einfach darauf hingewiesen werden sollte, dass das Fiktion ist. Es gibt in Wahrheit gar keine Dämonen, die durch Städte ziehen und Männern beim Oralverkehr den Penis abbeißen.


    Ganz ehrlich: Gerade die Szene ist so plakativ, so vorhersehbar und so dick aufgetragen, dass eigentlich jedem Hörer klar sein muss, dass es sich um einen bewusst gesetzten Reizpunkt mit einem kräftigen Schuss (Selbst-)Ironie handelt. "Du hast mir den Schwanz abgebissen!" - Klar, was man(n) halt so schreit in so einer Situation ... Jeder, der schon mal einen Fußball auf die Zwölf gekriegt hat oder der sich mal versehentlich was im Reißverschluss seiner Hose eingeklemmt hat, sollte eigentlich wissen: Artikulierte Ausrufe welcher Art auch immer wären in so einer Situation denkbar unwahrscheinlich.