Eine Frage der Vorstellungskraft...

  • Hallo zusammen,


    es geht mir mal um Fragen, was man sich eigentlich vorstellt, so beim Hörspiel-/Hörbuch-Hören. Und um andere Dinge.


    Folgendes ist mir an mir selbst so aufgefallen:
    -leblose Objekte, Räumlichkeiten, Umgebungen stelle ich mir sehr viel plastischer / detaillierter als die darin agierenden Figuren vor


    -Personen erscheinen nur als Umriss, ein wenig leblos, Gesichter bleiben auf jeden Fall unscharf/unkenntlich, auch wenn die Figur eine sehr bekannte Synchronstimme hat (bzw. die Hollywood-Entsprechung), so erscheint sie in meiner Vorstellung nicht als der entsprechende Schauspieler (tatsächlich kann ich dies versuchen, es kostet mich aber willentliche Energie, die einem Genusserleben entgegensteht). Auch ist der "negative Reiz" höher, wenn ich eine Stimme stark mit einer anderen Hörspielrolle derselben in Verbindung bringen kann. Ich finde es aber z.b. nicht schlimm, dass Norbert Gastell so stark mit Homer Simpson assoziiert ist, negativer wäre es wohl, wenn "Die Simpsons" eine reine HÖrspielserie wäre. Dietmar Wunder ist so ein Fall, er spricht mehrere Hauptrollen in Hörspielserien, was eine Identifikation ein wenig erschwert.


    -ich stelle mir keine Bewegungen, d.h. "Filme" vor, also kein "Kino im Kopf", es sind unbewegliche Bilder, MOmentaufnahmen, Fotos einer Szene... Mir fällt auf, dass auch der "Kamerawinkel" immer derselbe ist, beispielsweise wenn John Sinclair die Tür zum Büro seines Chefs öffnet, könnte man ihm ja dabei a) über die Schulter sehen oder b) ihn aus der Perspektive von Sir John eintreten sehen. Diese Bilder und Winkel sind auch sehr stabil, d.h. wenn ich das Hörspiel ein Jahr später nochmal höre, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Bilder mit denen vor einem Jahr identisch sind.


    Ein technischer Faktor, der stark auf meine Vorstellungskraft einwirkt, ist die räumliche Tiefe der Stimmen. Mir ist beispielsweise positiv aus dem Freud-Snippet die gute Räumlichkeit aufgefallen, man hat nicht den Eindruck, hier wurden Spuren zusammengefügt, die vorher in der Kabine aufgenommen wurden, sondern es wirkt wie eine ganzheitlich gefilmte Szene nur ohne Ton (als hätten die Darsteller also tatsächlich agiert). Ein Negativ-Beispiel wäre hier aus der Maritim-Serie "Danger" die Yeti-Folge. Hier bewegen sich die Akteure in heftigsten Schneestürmen o.ä. und trotzdem habe ich den Eindruck, eigentlich zwei Klangkörper parallel zu hören: a) Die Windgeräusch-Soundschleife und b) die Sprecher in ihren Kabinen. Die Vorstellung, wie der Sprecher in der Kabine steht, kommt automatisch, da er eben nicht natürlich klingt, als wäre er in einer Außenumgebung. Natürlich kann ich mir trotzdem vorstellen, was in diesem Hörspiel passiert, nur laufen quasi neben der Hörspielrealität noch die Bilder der realen Aufnahmesituation parallel mit, was wohl nicht im Sinne des Erfinders sein kann. Was einen auch ähnlich dieser Thematik aus der Hörspielumgebung rausreißen kann, sind laienhaft oder gekünstelt wirkende Stimmen, oder wenn es nicht lebensecht wirkt. Vorteil von vielen HÖrspielen ist ja, dass die Themen eh meist wenig mit der Realität zu tun haben, aber sobald es realer, nachvollziehbarer wird, muss man aufpassen, da der Hörer automatisch mehr mit der Realität abgleicht (ist zumindest mein Eindruck). Da fallen dann auch kleinste nicht passende Pausen in Dialogen oder die Betonung auf. Die jeweils letzten Worte verschiedener Sprecher in Folge 34 von Lady Bedfort zum dortigen Event (will nicht spoilern) fallen da z.B. mir negativ auf.


    Eine weitere Frage: stellt man sich "immer" etwas vor (praktisch ein ununterbrochener Umwandlungsprozess der Audio-Informationen in die eigene Vorstellung?) Wenn ich bei meinen statischen Bildern bleibe, so glaube ich, dass ein etabliertes Bild solang aktiv bleibt, bis es von einer konträren Information abgelöst wird (im extremsten Falle ein Szenenwechsel; aber z.B. auch die Info "Charakter 1 gießt Charakter 2 eine Tasse Tee ein"- dann wäre das nächste Bild bei mir wohl eine Großaufnahme zweier Hände und der Tasse/Kanne). Aber was passiert, wenn es keine neuen Informationen gibt (bspweise Holmes vor dem Kamin sitzend, spielt Geige). Mir ist klar, wir reden hier vom Sekunden, vielleicht Millisekunden-Bereich. Ich vermute, das Bild wird dann entweder langsam verblassen oder vielleicht auch abrupt ausgeblendet, bis eine neue Info kommt (Holmes fängt an zu reden, erklärt Watson den Fall). Dann hätten wir quasi nur noch die reine Tonspur, ohne das innere "Kino". Ich weiß nicht, ob sowas öfters vorkommen könnte, da in Dialogen wohl ganz automatisch neue Bilder aufgeworfen werden, da müsste man mal aufpassen. Die Gegenfrage wäre ja "Wie schreibt man einen Dialog, bei dem sich der Hörer keine inneren Bilder der Situation machen kann?" (aber wer will das schon?)


    Und zum Schluss die Frage: Sind hohe Erzähler-Anteile eigentlich förderlich für die eigene Vorstellungskraft? Ich habe in letzter Zeit eher den Eindruck, dass mich Erzähler generell etwas stören, da sie "außerhalb" der Hörspielrealität agieren, selbst wenn sie natürlich Dinge beschreiben, die in dieser geschehen. Durch den Erzähler kommt es bei mir automatisch zum Bruch der "Imaginationsebene 1" (in der die Akteure agieren) hin zur "Imaginationsebene 2" (vielleicht besser: 1.5, da diese ja nicht unabhängig vom bisherigen Kontext existiert, aber eben doch nicht 100%ig dazugehört). Vielleicht liegt es nur daran, dass man im eigenen Leben auch keinen Erzähler hat, wer weiß. Jedenfalls stören mich Erzähler ein wenig. Na ja, wollte ich mal gesagt haben!

  • Interessant.

    Zitat

    -leblose Objekte, Räumlichkeiten, Umgebungen stelle ich mir sehr viel plastischer / detaillierter als die darin agierenden Figuren vor


    -Personen erscheinen nur als Umriss, ein wenig leblos, Gesichter bleiben auf jeden Fall unscharf/unkenntlich,


    -ich stelle mir keine Bewegungen, d.h. "Filme" vor, also kein "Kino im Kopf", es sind unbewegliche Bilder, MOmentaufnahmen, Fotos einer Szene... Mir fällt auf, dass auch der "Kamerawinkel" immer derselbe ist, beispielsweise wenn John Sinclair die Tür zum Büro seines Chefs öffnet, könnte man ihm ja dabei a) über die Schulter sehen oder b) ihn aus der Perspektive von Sir John eintreten sehen. Diese Bilder und Winkel sind auch sehr stabil, d.h. wenn ich das Hörspiel ein Jahr später nochmal höre, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Bilder mit denen vor einem Jahr identisch sind.



    Kann ich so zu etwa 90 % unterschreiben.