"Das war 2006" - Offener Brief

  • "Wie? Schon wieder rum, das Jahr? Kann doch gar nicht sein!" - Ähnliche Zeilen geistern mir durch den Kopf. Zeilen, die ich bei anderen oft belächelt habe. Nun habe ich am eigenen Leib erlebt, wie es sich anfühlt, wenn einem die Zeit nur so dahin rinnt.


    Vor ungefähr einem Jahr war es soweit, Michael Eickhorst und ich haben unter relativ großen Widrigkeiten das neue Label, den Hörplanet, aus der Asche emporsteigen lassen. Und unabhängig davon, ob dies nun ein Newcomer-Label oder doch nur alter Hörspielwein in neuen Schläuchen ist, so steht für uns fest, dass der 1. Januar 2006 ein in unserem Leben bedeutungsvoller Tag war. Denn es war nicht der Tag, an dem wir uns entschlossen, unsere Fanboy-Träume wahr zu machen, sondern der Tag, an dem wir das, was wir zaghaft und vorsichtig die Jahre zuvor ausprobiert hatten - mit mäßigem Erfolg - nun endlich mit Volldampf anzugehen: Volles finanzielles Risiko und volles Rohr! Der Schritt in Richtung "Nur noch Profis" war aufregend und lohnenswert. Aber dazu später mehr.


    Nun entschuldige ich mich noch fix im Vorraus bei all denen, die es immer so grässlich finden, wenn ich Betriebsinterna ausplaudere, aber ich sags gerne immer wieder: Wir machen die Hörspiele für euch, die Kunden. Warum sollten wir dann euch, die Kunden, verarschen und so tun, als wenn alles Gold ist, aber trotzdem geht nix weiter? Eben! Das können doch andere machen.


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    Januar 2006
    Nachdem die Banken die Finanzierung auf dem letzten Meter gestoppt haben, schien das Projekt "Hörplanet" vorerst auf Eis. Umso seltsamer, dass es von einem Tag auf den anderen mit Hilfe eines sehr guten Bekannten dann doch ging, und dann auch noch nach dem Prinzip "Ach, ihr braucht Kohle? Wieso habt ihr mich nicht gleich gefragt, hätt ich euch sofort gegeben" - während wir wochenlang recht unglücklich nach Lösungen suchten.


    Der Januar stand ganz im Zeichen von "Fragmente". Ich erinnere mich noch gut, wie ich um Silvester rum noch händeringend versucht habe, Pinternagels Einverständnis für die Hörbuchversion einzutüten. Hat auch geklappt. Und dann folgte der komplette Januar mit jeweils zwei Atelier-Tagen pro Woche, jedesmal ca. 2 Stunden sprechen. Nach 8 Tagen war die Produktion Ende Januar tatsächlich fertig. Unser erstes Hörbuch. Natürlich waren wir sehr unsicher. Würde Dennis Rohling als Sprecher ausreichen, um einen Stoff über 6 Stunden spannend und glaubhaft umzusetzen? Würde Michael Eickhorst, ein Mensch, von dessen Existenz bis heute nur die wenigsten wissen, eine Regiearbeit bieten, die dem Werk gerecht werden würde? Natürlich beurteilt man sich selbst immer sehr kritisch und eher negativ, aber die folgenden Reaktionen haben uns wahrhaftig umgehauen. Dass wir gleich mit dem ersten, nahezu laienhaften Werk so einen Erfolg hinlegen würden, hat uns sehr viel Mut gegeben. Einige blöde Tatsachen bezüglich "Fragmente" will ich nicht verschweigen:
    1. Die Vorverkaufsaktion ("Wenn wir XY Vorverkäufe schaffen, gibts ne Pressung") war zwar ganz schön, nur leider gab es NACH diesen Vorbestellern nahezu keine Käufer der daraufhin gepressten mp3-CD mehr. Dezeit können wir mit den Lagerbeständen noch halb Osnabrück abdecken :D "Fragmente" wurde zum absoluten Spitzenreiter bei soforthoeren.de - hätten wir nur dort veröffentlicht und uns die Kohlke gespart, wir hätten unterm Strich heute mehr Kohle in der Tasche gehabt, die uns im Laufe des Jahres doch hier und da mal gefehlt hat.
    2. Die Tatsache, dass das Hörbuch im Esel mittlerweile gut und gerne 1.500 Downloads hatte, macht uns als Künstler zwar sehr riemig, aber im Portemonaie ist dadurch leider nicht ein Cent angekommen. Darum wünschen wir allen 1.500 Saugern die Pest an den Hals und schicken den Holiday-Killer vorbei.


    März 2006
    Ein aufregender Monat, endlich ging es los. Vom 3. bis zum 5. März war ich zusammen mit Simeon Hrissomallis und Wolfgang Strauss in Berlin für meine ersten Aufnahmen mit der Edelgilde der Sprecherzunft. Das waren aufregende und schöne Tage. Natürlich lief auch hier nicht alles glatt, so machten wir zum Beispiel viele Aufnahmen für "Wendernoacht" und "Der Falke", die aber im Nachhinein nicht mehr benutzbar waren, da diese Projekte mangels Erfolgsaussicht gekippt wurden. Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir einfach noch drei Ikarus-Scripte mehr ins Gepäck genommen und würden heute auch anders dastehen, so wie der Schmetterling, der hier flattert und in China nen Sturm auslöst. Aber was solls, wir können es nicht ändern. Wir haben einige eher suboptimale Entscheidungen getroffen, manches Mal zu viel gewollt, aber alles in allem ist das okay, wir sind noch jung und am Anfang, daraus lernen wir.


    Mai 2006
    Der Monat dr Veröffentlichungen. Wieder großes Zittern. Wie würden die Hörspiele ankommen? Anders als bei "Fragmente" wurde "Rettungskreuzer Ikarus" schon etwas geteilter aufgenommen. Einige fanden es klasse, einige totalen Grütz, viele kennen es bis heute nicht (denen schicken wir auch den Holiday-Killer vorbei). Aber unterm Strich konnten wir auch diesbezüglich in unser Klassenheft schreiben "Test bestanden".


    Juli 2006
    In diesem Monat dachten wir uns: "Hey, wenn 'Fragmente' so gut ankommt, dann machen wir auch 'CyberJunk', ist ja der gleiche Autor. Aber was war die Realität? "CyberJunk" floppte mehr oder weniger. Im Vergleich mit seinem Vorgänger konnte sich "CyberJunk" leider bis heute nicht wirklich behaupten. Was wir nicht verstehen. Denn das Hörbuch ist nicht minder schön geworden wie "Fragmente". Aber der Markt ist eben unberechenbar, erst recht, wenn man kein Global Player ist, sondern nur ein kleines Würstchen. Aber dazu im "August" mehr...


    August 2006
    Im August endlich bekamen wir die erste Vertriebsabrechnung für die Produktionen. Was für ein Tag. Durch die Shopverkäufe der letzten Wochen wussten wir ja ungefähr, was uns erwarten würde, denn die waren mehr als glänzend. Und dann kamen die Zahlen und versetzten uns einen gewaltigen Schock. Sie waren mehr als lausig! Es war uns gelungen, mit soforthoeren und den eigenen Shopverkäufen mehr als das zehnfache von dem umzusetzen, was Pängg gelungen war. Natürlich waren wir entsetzt, denn dumm wie wir waren (oder auch nich sind, je nach Ansicht), dachten wir, dass wir nach der Abrechnung schnell Staffel 2 von "Rettungskreuzer Ikarus" nachlegen könnten. Aber weit gefehlt! Das Vorhaben wanderte ratz-fatz auf Eis.
    Nach einigen Tagen hatten wir uns erholt und schoben die Zahlen auf WM, Sommerloch, Kuba-Krise und Ozonloch. Die nächste Abrechnung würde sicher in die Höhe schießen!


    September 2006
    Was also tun, wenn man einerseits keine Kohle hat, aber andererseits ein Programm aufbauen will? Richtig: Hörbuch machen :D
    Mir kam die Idee zur "Bibliothek der Albträume", einer Hörbuchreihe, die jungen Autorentalenten die Chance geben würde, ihre Werke vertont zu kriegen. Und wir bekamen günstig herausragende Stoffe. Allen war geholfen. Doch leider machten uns auch hier die Kunden einen Strich durch die Rechnung. Die Bibliothek blieb leider auch nach dem zweiten Teil noch weit hinter unseren Erwartungen zurück. Wahrscheinlich war "Fragmente" einfach aufgrund seiner Skandalträchtigkeit so ein kleiner Erfolg geworden. Alle Nachfolger tun sich schwer.


    November 2006
    Erstmal was Erfreuliches: "Durchian", dieses seltsame Undergroundprojekt, dass wir nunmehr 4 1/2 Jahre betreiben, ohne so recht zu wissen, warum eigentlich, erfuhr bei seiner erneuten Veröffentlichung als kostenloser Download eine verhältnismäßig große Beachtung. Das hat uns natürlich nach mehr als 150 Gesprächen sehr gefreut. Und wir freuen uns auch, im neuen Jahr mit neuen Gesprächen weiterzumachen.


    Die nächste Vertriebsabrechnung. Und was soll ich sagen? Pängg hatte es geschafft! Sie hatten es geschafft, im dritten Quartal noch weniger in die Läden zu bringen als davor. Also konnten wir auf jeden Fall davon ausgehen, dass Somerloch und WM nicht Schlud waren. Dass es das Ozonloch ist, halten wir aber nach wie vor für durchaus wahrscheinlich!
    Das Jahr neigte sich also dem Ende und wir waren sehr enttäuscht, unser ganzer Masterplan scheiterte auf der Zielgraden. Geile Produkte, vergleichsweise große Beliebtheit und dann bekam man uns schlicht und ergreifend nirgends. Das war arg blöde.


    Doch statt den Kopf hängen zu lassen, rappelten wir uns schnell wieder auf, kündigten Pängg und überlegten, was wir tun könnten. Da kamen wir auf "Lady Bedfort". Eine Serie, die in der Produktion nicht so viel kostet wie so ein Mammutwerk wie Ikarus, und trotzdem den Zauber einer soliden Hörspielproduktion erreichen kann. Mit John Beckmann hatten wir auch schnell einen begeisterungsfähigen Autoren an Bord, der in der Rekordzeit von nicht mal 4 Wochen drei Scripte schrieb. Michael Eickhorst war auch nicht faul und verfasste ein Holger-Script, dass meiner Meinung nach das Beste aller Zeiten ist.


    Dezember 2006
    Ein turbulenter Monat, auf jeden Fall. Am 22. Dezember war ich endlich wieder mit "meiner Gang" (Ratthey, Ziesmer, Krauss, Wunder) im Atelier und habe produziert. Und ich kann verraten: Es war kostenmäßig effizient, künstlerisch maximal. Die Bedfort-Hörspiele werden grandios, es ist eine wahre Freude, sie zu schneiden (was ich derzeit tue). Die Texte werden so dermaßen authentisch wiederegegeben, dass ich sie geräuschlich auch im All ansiedeln könnte, es wäre trotzdem toll. So zumindest mein subjektives Empfinden, das mag natürlich demnächst jeder für sich beurteilen.


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    Aber das Beste kommt zum Schluss: Obwohl sich das Hörplanet-Jahr 2006 eher wie gefloppt anfühlt (das ist wie mit den gefühlten Temperaturen), so durften wir feststellen, dass wir auf null gekommen sind. Und dies, so versicherten uns bereits mehrere BWLer, sei im Gründungsjahr weiß Gott keine Selbstverständlichkeit. Betrachten wir nun, wieviel Kohle wir für Fehlentcheidungen in den zwölf Monaten verfeuert haben, so hätten wir sicher noch Gewinn gemacht, wenn wir Am 1. Januar 2006 das Wissen gehabt hätten, das wir jetzt haben. Aber das Schöne ist: JETZT HABEN WIR DIESES WISSEN - UND WIR MACHEN WEITER, M I T DIESEM WISSEN


    Also, allen Unkenrufen zum Trotz: Hörplanet ist da, Hörplanet bleibt auch noch etwas, Hörplanet könnte 2007 vielleicht noch mehr werden. Schaun wir mal!


    Mir hat das Jahr 2006 jedenfalls unterm Strich sehr gut gefallen, ich hatte unglaubliche Tiefen, manche Höhen und beendete das Jahr als einer der glücklichsten Menschen der Welt. Was will man denn noch mehr?

  • Zitat

    Original von Dennis Rohling


    ...und beendete das Jahr als einer der glücklichsten Menschen der Welt. Was will man denn noch mehr?



    "Bösen Menschen geht es immer gut." :P


    Viel Erfolg dem Hörplaneten für die kommenden Jahre.