Talkshow des Grauens

  • Vor kurzem sind mir wieder drei "John Sinclair"-Hefte in die Hände gefallen, in denen jeweils eine "Horror-Story der Woche" von mir zu finden war. Davon möchte ich hier eine einstellen. Sie erschien damals in Band 633 der 2. Auflage ("Schädeltanz am Hudson") und stellt meine zweite, veröffentlichte Horror-Story da. Ich schrieb sie, nachdem ungefähr zwei Jahre zuvor schon einmal eine Geschichte von mir gedruckt wurde, zwei weitere später aber abgeleht wurden. Dies sollte mein dritter und letzter Versuch sein, nicht als "Eintagsfliege" zu enden. Damals befand sich der Boom der Nachmittags-Talkshows gerade auf dem Höhepunkt und so kam mir die Idee zu dieser Story. Hinterher, nachdem ich die Story an einem Abend, quasi in einem Rutsch, hinunterschrieb dachte ich "so einen Blödsinn nehmen die bestimmt nicht", schickte sie aber trotzdem ab, ohne sie nochmals zu lesen. Zu meiner Überraschung nahmen sie die Story tatsächlich an. Die hier veröffentlichte Version wurde von mir leicht abgeändert, entspricht aber dennoch zu 99% noch der Originalfassung.

  • TALKSHOW DES GRAUENS


    "Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von "Rick Morgan", der einzig wahren Talkshow am Nachmittag. Unser heutiges Thema lautet "Ich bin ein Wesen der Nacht" und mein erster Gast ist Joseph Miles. Joseph, Sie sagen, sie seien ein Wesen der Nacht. Was heißt das genau? Sind sie etwa Nachtwächter oder Bäcker?"
    Das Publikum lachte über diesen dummen Scherz, doch der angesprochene Gast verzog keine Mine.
    "Nein, Rick, ich bin ein Vampir!"
    Kichern war aus dem Publikum zu hören, und von einigen Zuschauern kamen dumme Zwischenrufe, die allerdings ignoriert wurden.
    "Soso, ein Vampir, spottete der Moderator. "Und wie können Sie dann jetzt hier sein? Ich dachte, Vampire hassen das Licht."
    "Wir hassen das Sonnenlicht", korrigierte Joseph Miles, "und dagegen habe ich meine Sonnenbrille und meine Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 52. Denken Sie denn, wir Vampire leben in unseren Grüften immer noch im Sarg, bei Kerzenlicht? Nein, ich habe nicht nur elektrisches Licht in meiner Gruft, ich habe sogar einen Internetanschluss und meine eigene Homepage. Die Adresse lautet www..blutsauger.de
    "Donnerwetter, dass hätte ich jetzt nicht gedacht", staunte der Moderator. "Und von was ernähren Sie sich? Ich meine, Menschenblut ist doch für ein Vampir immer noch erste Wahl, oder?"
    "Nun ja, auch ich gehe mit der Zeit. Sicher, ab und zu ein bisschen Menschenblut muss schon sein, aber ein gutes Steak, natürlich englisch, oder eine Blutwurst tut es im Allgemeinen auch - ich bin ja nicht wählerisch. Sogar einen "Big Mac" habe ich schon mal gegessen. Der war mir allerdings ein wenig zu gut durch."
    "Ah ja, interessant", beuteuerte der Moderator, wirkte aber nicht im Mindesten interessiert. "Aber Sie haben da ein Problem, von dem Sie unserem Publikum erzählen wollen, welches eher ungewöhnlich für ein...nun ja...Wesen ist, wie sie behaupten, eins zu sein."
    Joseph Miles wirkte leicht verärgert: "Ich BIN ein Vampir. Aber ja, Sie haben recht, es gibt da noch ein Problem."
    Der Gast holte tief Luft, ehe er weitersprach: "Ich habe Angst im Dunkeln."
    Grinsend schaute der Moderator seinen Gast an. "Angst im Dunkeln? Na, wenn das ihr Großvater, Graf Dracula, hört. Und was machen Sie dagegen?"
    "Zunächst einmal ist Graf Dracula nicht mein Großvater, sondern mein...na, jedenfalls kommen da noch ein paar Ur's dazu. Und zweitens, nun - wenn ich schlafen gehe, lasse ich zum Beispiel immer das Licht brennen. Und wenn ich des Nachts unterwegs bin, pfeif ich immer mein Lieblingslied vor mir her."
    "Und welches ist das?"
    "Der Mond ist aufgegangen."
    "Okay, wir kommen nun zum nächsten Gast. Sie glaubt, eine Werwölfin zu sein. Bitte begrüßen Sie Maria Cross."
    Donnernder Applaus brandete auf, als die hübsche Blondine ins Studio kam und auf ihrem Stuhl Platz nahm, und einige Männer konnten es sich nicht verkneifen, gleich einige zweideutige Sprüche loszulassen, die Maria aber überhörte.
    "Maria, Sie glauben also, eine Werwölfin zu sein:"
    "Ich glaube es nicht nur, ich bin es", erwiderte die Angesprochene trotzig.
    "Gut, sie SIND also eine Werwölfin. Das heißt also, Sie verwandeln sich jedes Mal bei Vollmond in eine reißende Bestie, stimmt's?"
    "Ja, das stimmt!", bestätigte Maria Cross, "und das finde ich ziemlich lästig. Ich meine, ich kann in solchen Nächten gar nicht in die Disco oder ins Kino gehen. Außerdem stören mich die vielen Haare, denn das Fell stinkt und kratzt so fürchterlich, und dann verliere ich überall auch noch Haare - dabei bin ich doch allergisch gegen Tierhaare! Das Schlimmste ist aber, das es mich immer total unvorbereitet trifft. Manchmal geht es sogar schon am späten Nachmittag los, so etwa um diese Zeit. Und wenn es dann in der Woche ist, sitze ich dann gerade immer vor dem Fernseher und sehe meine Lieblings-Soap, und dann kriege ich wieder das Ende nicht mit, weil die Verwandlung beginnt."
    "Oh, das ist ja ein schlimmes Schicksal", bedauerte der Moderator sie, wobei der Sarkasmus in seiner Stimme nicht zu überhören war, "aber hat ein solches Leben nicht auch Vorteile?"
    "Naja, sicher, ich meine, man kommt an die frische Luft, braucht sich keine Gedanken ums Essen machen; man lernt jede Menge Opfer kennen, doch...eigentlich ist es ganz okay."
    "Und heute ist ja wieder Vollmond", bemerkte Rick Morgan, "dann werden Sie heute Abend sicherlich wieder unterwegs sein und ein paar Männer aufreißen, oder?"
    Maria Cross lächelte vielsagend: "Aufreißen ist gut. Aber ob Männer oder Frauen...die Hauptsache ist, es ist nahrhaft."
    "Na, dann wünsche ich ihnen schon mal viel Spaß bei ihrem Beutezug. Aber essen Sie nicht zu viel, dass schlägt so auf dem Magen und macht dick."
    Das Publikum lachte wieder.
    "Kommen wir nun zu unserem letzten Gast. Eigentlich weilt er ebenfalls nicht mehr unter den Lebenden, aber manchmal treibt es ihn doch aus seinem muffigen Grab, um frische Luft zu schnappen und Menschen zu jagen. Er behauptet von sich, ein Zombie zu sein. Hier ist Barry Gordon!"
    Die Kamera zeigte sein Gesicht in Großaufnahme.
    "Barry, sie sind also ein Zombie."
    "Genau!", bestätigte dieser.
    "Und was macht man als Zombie den ganzen Tag über?"
    "Naja, tagsüber liege ich in meinem Grab und faule vor mich hin. Aber nachts steige ich heraus und schnappe frische Luft".
    "Ja, und dann jagen sie Menschen", sagte Rick Morgan.
    "Nein, das stimmt nicht! Ich will mich doch nur mit jemanden unterhalten. Aber sobald sie mich sehen, rennen sie immer weg und schreien "Ein Monster, ein Monster!"
    "Haben Sie denn keine Freundin?"
    "Ach, woher denn! Glauben Sie etwa, irgendeine Frau findet meine knochigen Hände, meine blutige Fratze und meine verfaulte Haut sexy?"
    "Naja, man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. Aber wovon ernähren Sie sich denn, wenn nicht von Menschen?"
    "Ach, eigentlich hat man als Zombie gar nicht so einen großen Hunger. Aber manchmal besorge ich mir aus dem Supermarkt eine Dose Spaghetti oder eine Tiefkühlpizza. Bei der dauert es aber immer so lange, bis sie aufgetaut ist, denn natürlich habe ich keinen Backofen bei mir, in meinem Grab. Einmal habe ich vor lauter Hunger sogar die Kassiererin verspeist. Hinterher habe ich mich dann aber ganz mies gefühlt, und seitdem ernähre ich mich überwiegend vegetarisch. Aber manchmal werde ich doch rückfällig. Deshalb bin ich auch den anonymen Menschenfressern beigetreten und habe sogar schon mal eine Therapie begonnen, aber nachdem ich meinen dritten Therapeuten verspeist hatte, wollte meine Krankenkasse die Kosten nicht mehr übernehmen. Naja, außerdem haben sie gemerkt, dass ich schon seit ein paar Jahren tot bin und keinen Anspruch mehr auf eine Krankenversicherung habe."
    "Tja, dann wünsche ich ihnen alles Gute und hoffe, dass sie nicht mehr rückfällig werden. Und meinen anderen Gästen wünsche ich auch, dass sie ihre Probleme in den Griff kriegen und ein...ähm...normales Leben als Untote führen können. Das war's für heute. Seien Sie auch morgen wieder dabei, wenn es wieder heißt "Rick Morgan", denn dann lautet mein Thema: "Ich glaub', ich seh Gespenster!" Auf Wiedersehen!


    Am nächsten Morgen stand eine Meldung ganz groß in der Zeitung:

    RICK MORGAN VON MONSTERN VERSPEIST!


    Der beliebte Talkshowmoderator Rick Morgan wurde gestern nach seiner Show von seinen Gästen angefallen und verspeist, die vorgaben, Vampire, Werwölfe und Zombies zu sein. Die Täter sind flüchtig. Zeugen berichten aber darüber, kurz nach der Sendung eine Fledermaus, einen Wolf und einen Mann, der ziemlich schlecht aussahm aus der Kabine von Rick Morgan kommen gesehen zu haben. Näheres ist noch nicht bekannt.


    ENDE
    * Ich möchte darauf hinweisen, dass ich mit der real existierenden Internetseite "blutsauger.de" nichts zu tun habe. Der Name fiel mir damals beim Schreiben spontan ein, ohne das ich überprüft habe, ob die Seite existiert oder nicht.

  • Hier hatte ich mich ursprünglich aufgeregt, dass die Übertragung von Word ins Forum nicht so geklappt hat, wie sie sollte. Nachdem ich die Story aber nochmal neu abgetippt hatte, ist dieser Beitrag hinfällig geworden.

  • Witzig! Typisch Talkshow. Gibt es die Horror-Story der Woche noch? Da konnte man ja gut mal etwas Geld verdienen. Ich habe letztes Jahr auch mal eine Horror-Story von mir ausgegraben und als Hörspiel-Skript umgeschrieben, die jetzt von den Mind Crushern vertont wird. Ich bin mal gespannt, wie das so werden wird.

  • Nein, die "Horror-Story der Woche" gibt es nicht mehr, weil es keine Sinclair-Neuauflagen mehr gibt (jedenfalls nicht mehr in Heftchenform), bei denen sie ja Bestandteil waren. Sehr schade, denn ich hatte zu meiner ersten Horror-Story (Titel: "Die Nacht des Werwolfes") noch einen zweiten und einen dritten Teil geschrieben, die ich gern noch veröffentlicht gesehen hätte. Aber kurz nach dem ichh Teil 2 bearbeitet (die Geschichte wäre für das Heft zu lang gewesen) und abgeschickt hatte, wurden auch die letzten Neuauflagen eingestellt.