"Akustische Maske" nannte Elias Canetti das Prinzip, Figuren durch ihre Sprache
plastisch werden zu lassen. A.J. Weigoni spürt der Sprache in den »Vignetten«
vor allem als akustischem Phänomen nach. Dieser Sprechsteller gibt der Sprache
einen Körper, verleiht ihr Gestalt und Kontur, er gehört damit zu den Poeten,
die nicht nur Text, sondern Klang produzieren; seine Stimmführung ist nahezu
Musik. Unangestrengt schafft er geflüsterte, gesprochene Sprachkunstwerke.
Weigoni verfügt über eine schattierungsfähige Stimme, die viele Zwischentöne
kennt. Auf eine sensible Art spröde. Sanft und energisch. Warm und weich. Rauh
und klar. Bei Weigoni sind Selbstironie und aufrichtiger Affekt eben kein
Widerspruch, philosophischer Ernst findet sich mit abgründigem Witz verpaart,
und Raffinesse und pophistorische Reflektiertheit paaren sich mit der
Komplexität eines Gedichts. Roland Barthes hat geschrieben, daß es keine
menschliche Stimme auf der Welt gebe, die nicht Objekt des Begehrens wäre –
oder eben des Abscheus. Es gibt keine Stimme, zu der wir uns neutral verhalten
können: Entweder wir lieben sie oder nicht, entweder wir ertragen sie oder wir
reagieren idiosynkratisch. Was fasziniert, ist etwas sehr Konkretes: Wörter,
Wortgruppen, bestimmte Zusammenstellungen, in bestimmter Perspektive
ausgewählte Sprachkombinationen. Weigoni interessiert der Einklang der Vokale,
Konsonanten und mehrwortigen Verbindungen, das durch vokabuläre Zusammenfügung
hergestellte künstliche Bild. Das Mondäne vereinigt sich mit dem Musikalischen,
der Intellekt mit dem Sinnlichen. Seine Stimme erzeugt eine atemberaubende
Intimität. Sie ist weich und schwingend wie der Körper einer Katze, und sie
kann kalt leuchten wie Mondschein. Aber vor allem ist sie groß, wenn er leise
spricht. Dann bricht sie manchmal und zeigt raue Stellen; sie entzieht sich in
Momenten der Heiserkeit, um dann umso schöner wiederzukommen. Nicht nur als
Sammler von Sprachblüten ist er eine Gelehrtennatur von idealistischem Fleiß
und positivistischem Systemdrang, man muß vor seinem polemischen Talent auf der
Hut sein. Die geschriebene Sprache ist immer eine Metapher für die gesprochene.
Desto "echter" sie klingt, desto weiter entfernt ist sie in Wahrheit
von der Umgangssprache. In den »Vignetten« transportieren sich die
Wellenbewegungen der Flüße Rhein und Nil in sinnlich geschwungene Bögen des
Gesprochenen. Hier wird die Dialektik einer beschwörenden Sprachmagie
sinnfällig.
Aus einem musikalischen Einfall heraus entwickelt Tom Täger ein 24teiliges Stück.
Der Hörspielkomponist verarbeitet das Thema dabei unterschiedlich, in
Sequenzen, Transpositionen und Diminutionen kommen seine Inventionen zu den
Vignetten daher. Kontraste sind für Tom Täger selbstverständlich, die
schwelgerische Melancholie gedeiht direkt neben krassen Dissonanzen, und die
Intensität des Schrillen verstärkt diejenige des Stillen. Seine Komposition
lebt von Polymetriken und Polyphonien. Die Vertonung Tägers fügt sie – mit
allen Kontrasten von Tempoverläufen, Klangdichten, dynamischen Abstufungen –
über die Wortbedeutungen hinweg zu einer einleuchtenden Zyklik. Die Klänge und
Strukturen sind eigenartig: ähnlich und doch immer wieder neu, streng und doch
offen. Das Zuhören führte an ein Zeitempfinden heran, wie es in dieser Weise
selten zu erleben ist. Oft gibt es das Missverständnis, Energie gleich
Lautstärke. Intensität steckt auch in extrem ruhiger und gleichförmig
fließender Energie, quasi im Nichts. In der Hörspielmusik dieses Soundtüftlers
gibt es extrem leise Stellen. Und trotzdem ist da unentwegt ein Energiefluss
spürbar, es brodelt etwas.
Bei der Umsetzung der »Vignetten« möchte man jedem einzelnen Wort hinterher
lauschen. Hier entsteht etwas, das am ehesten als eine Art assoziativer
Klangraum bezeichnet werden könnte, ein schwer zu fassendes Phänomen, das eng
mit der offensten aller Künste, der Musik, verwandt ist.
»Vignetten«, Novelle von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2009 – Limitierte und
handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover
Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de
Hörprobe auf«: http://www.hoerspielprojekt.de/MetaPhone/