Dr. Siri und seine Toten - Colin Cotterill [Krimi]

  • Dr. Siri und seine Toten


    "Und so hatte er seine Pensionierung schweren Herzens aufgeschoben und sich mit Hilfe zweier schon leicht angesengter französischer Lehrbücher darangemacht, sein Handwerk zu erlernen. In einer verlassenen Schule der Amerikaner besorgte er sich einen Notenständer, damit die Bücher nicht zuklappten, während er seinem ersten Patienten mit dem Skalpell zu Leibe rückte. Ein Auge auf den Notenständer gerichtet, sezierte er wie ein Konzertpathologe, der auf den Innereien seiner Leichen spielt. "Umblättern", sagte er und Dtui blätterte die Seite um. Er hielt sich streng an die Anweisungen der französischen Kollegen aus dem Jahre 1948. Zwar war er lange als Feldchirurg tätig gewesen, doch zwischen der ärztlichen Versorgung Lebender und der Untersuchung von Verstorbenen klaffte ein himmelweiter Unterschied. Befunde mussten gesichert, Tests durchgeführt werden. Er hatte nicht damit gerechnet, mit zweiundsiebzig noch einen neuen Beruf erlernen zu müssen. Als er am 23. November 1975 mit den siegreichen Pathet Lao in Vientiane einmarschiert war, hatte er sich seine Zukunft weitaus angenehmer vorgestellt."


    Vientiane, Hauptstadt von Laos, 1976.
    Seit Einkehr des Kommunismus in das Land Laos im Jahr 1975 ist dort nichts mehr so wie es einmal war. Und so muss der 72jährige Dr. Siri Paiboun einsehen, dass nichts aus seinem wohlverdientem Ruhestand wird, man ernennt ihm zum einzigen Leichenbeschauer des Landes. Bei Arbeitsantritt erhält er jedoch keine Einarbeitung, sondern muss sich mit zwei französischen Lehrbüchern aus dem Jahre 1948 begnügen. Seit Team besteht aus der Krankenschwester Dtui mit einer Vorliebe für Comics und Geung, dem Pathologieassisten, der am Down-Syndrom erkrankt ist.
    Als Siri mit seinem besten Freund Civilai in der Mittagspause ist, kommt Geung ganz aufgeregt angelaufen. Frau Nitnoy sei da, Siri müsse sofort kommen, die Frau sei beim Mittagessen tot umgefallen. Der erste große Fall für Siri und sein Team und dann gleich unter Parteibeobachtung, da die Tote die Ehefrau eines wichtigen Genossen ist. Am Abend kommt der trauernde Ehemann zu ihm und erklärt dem verblüfften Paiboun, dass seine Frau rohes Schweinefleisch liebte und wohl daran gestorben sei. Er nimmt die Leiche mit, um sie zu bestatten. Dr. Siri lässt dieses Verhalten keine Ruhe, er seziert das Gehirn der Toten und stößt auf erschreckende Erkenntnisse.


    "Folglich brauchte Siri die Lehrerin nicht nur ihrer Chemikalien wegen, sondern auch zum Entziffern der Gebrauchsanweisung. "Was ist denn in dem Beutel?" Siri hielt immer noch den kleinen Plastikbeutel in der Hand, den er mit einem Gummiband verschlossen hatte. Allmählich kam er wieder zu Atem, und auch seine Stimme kehrte zurück. "Mageninhalt." "Mmm. Lecker. Andere Leute bringen Sojamilch oder Eiskaffee mit. "Tut mir leid." "Haben Sie schon gefrühstückt?" "Nein."


    Die Chemielehrerin Oum ist ihm bei seinen Ermittlungen eine große Hilfe, da nur sie die Mittel hat, um Toxine und Co. nachweisen zu können. Bei seiner Rückkehr ins Büro stellt Siri fest, dass wichtige Unterlagen fehlen. Will etwa jemand verhindern, dass Siri den Fall aufklärt? Doch diese Leute wissen nichts von Siris größtem Geheimnis. Und dann gibt es den nächsten Toten...


    Colin Cotterill hat mit "Dr. Siri und seine Toten" den Auftakt zu einer neuen, ganz wunderbaren Reihe geschaffen. Im Mittelpunkt findet sich der leicht kauzig wirkende Arzt Dr. Siri, der zum einzigen Pathologen Laos' bestellt wurde und so in Ermittlungen verwickelt wird, die nicht allen gefallen. Der Leichenbeschauer muss seinen Job mit allereinfachsten Mitteln erledigen, was in der heutigen hoch technisierten Welt der Ermittler erfrischend anders und wohltuend ist. Er gibt auch nicht eher Ruhe, bis er dem Rätsel auf die Schliche gekommen ist. Zynisch, rebellisch, vor allem aber sehr weise ermittelt der einzige Pathologe des kleinen asiatischen Landes. Die Dialoge sind einfach großartig und sprühen vor Sprachwitz, was auch der hervorragenden Übersetzung zu verdanken ist. In einem sehr angenehmen Schreibstil erzählt Cotterill sehr liebevoll von einem Land, das uns so fremd ist. Sehr detailliert beschreibt er Land und Leute, so dass der Leser quasi mit Dr. Siri in Laos ermittelt. Cotterill lässt neben dem Kriminalfall zahlreiche Besonderheiten des Landes einfließen, aber auch ein wenig Aberglaube findet Einzug in die Geschichte und natürlich darf auch der Buddhismus nicht unerwähnt bleiben, der allerdings in dem kommunistischen Land offiziell in den Hintergrund gerückt werden soll. So erhält man nicht nur spannende Unterhaltung, sondern auch Einblicke in ein uns fremdes Land. "Dr. Siri und seine Toten" ist ein ganz besonders schöner Krimi, der nicht besonders blutrünstig ist, aber durch seine humorvollen Dialoge und die Besonderheit der Ermittlungen besticht.


    Wer Dr. House und Mma Ramotswe liebt, wird Dr. Siri Paiboun lieben.


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