Prægnarien – Wort- und Medienkompositionen

  • Auf diesem Hörbuch der Edition Das Labor sind
    grenzüberschreitende ‚artIQlationen’ zwischen unterschiedlichen Artisten auf
    analoger Basis zu hören. Als gegenseitig befruchtender Dialog zwischen
    bildender Kunst, improvisierter Musik und sprachlicher VerDichtung sollte man
    das spartenübergreifende Projekt Prægnarien verstehen. Hieß es einst „Wer nicht
    hören will, muß fühlen.“, könnte man nun behaupten „Wer leben will, muss
    wahrnehmen.“ Auf allen Ebenen.


    Idiosynkrasie, schrieb Jürgen Habermas in seiner
    "Theorie des kommunikativen Handelns", ist privatistisch und
    irrational. Letzterem zumindest scheinen Philipp Bracht, A.J. Weigoni und Haimo
    Hieronymus zuzustimmen, wenn sie über ihr Projekt Prægnarien sagen, es habe nichts
    mit Logik zu tun. Haimo Hieronymus mag das Individuelle des Strichs, empfindet
    im Glattgebügelten reiner Ideenkunst beliebige Langeweile und gähnende
    Austauschbarkeit. Weigoni verachtet die Bewertungskultur der Medien. Der
    Posaunist Philipp Bracht spielt Noten abseits der vorgeschriebenen Linien. Weder
    in der Malerei noch in Poesie und Musik ist Lebendigkeit eine Voraussetzung für
    unser Staunen, daher wollen diese Artisten als Künstler nicht bewundert,
    sondern in treusorgender Ironie betrachtet werden, ein Augenzwinkern ist nicht ausgeschlossen.


    Der Leser ist im Grunde immer ein Zuhörer. Er kann nicht
    ausweichen. Der Ton des Textes trifft ihn, eifersüchtig, obsessiv,
    unbarmherzig. In der künstlerischen Auseinandersetzung treffen sich Bracht,
    Hieronymus und Weigoni regelmäßig an der Grenzlinie, dort, wo Schrift in
    Zeichnung, und auch in Klang übergeht. Es geht bei dieser Performance um die
    Sehnsucht nach Körperlichkeit, sinnlicher Unmittelbarkeit. Kein anderer Klang
    lebt so sehr vom Atem. Keine andere Musik verlangt ähnlichen körperlichen
    Einsatz. Bläser und Angeblasene verschmelzen zu einer Einheit, werden Teil
    eines großen atmenden Klangkörpers. Keine Maschinen, sondern allein die
    Lungenzüge geben den Rhythmus vor.


    Ergänzt wird die Live-Aufnahme aus dem Theater im Bogen (Arnsberg) durch
    Hörspielereinen von Frank Michaelis und A.J. Weigoni. Es ist ein Wagnis vor dem
    Mikrofon zu bestehen, eine Gefahr zu meistern. Die Kunst gewinnt aus der
    Bedrohung etwas Neues, einen Überlebenston, dem man in Zuneigung verfallen
    kann, weil er sich weder für die Tragödie noch für die Komödie entscheidet. Den
    aggressiven Bezichtigungston sollte man auf keinen Fall mit der zärtlichen
    Verzweiflungklarsicht zu verwechseln. Weigoni und Michaelis veranstalten ein
    furioses Stimmenkonzert aus Reimen und Kalauern, den Tücken der deutschen
    Grammatik und ihren Wortzusammensetzungen. Es gibt in diesen Gedichten
    Buchstaben als etwas Hörbares. Weigoni ist ein exzeptioneller Lyriker und
    Performance–Künstler, im Sprechen liefert er seines Existenzbeweis, das
    Sprechen und Schreiben, jener hochmusikalische Rhythmus der Wiederholung wird
    zum einzig möglichen Aufschub gegen den Tod. Beinahe verschwörerisch rezitiert
    Weigoni seine Wortfelder und Frank Michaelis bläst ein Saxophon, dessen bewußt
    blecherne Schwüle leicht eine ganze New Yorker U–Bahn–Station unterhalten
    könnte. Keinen Millimeter Abstand hat Michaelis zum Text halten müssen. Nichts
    hat er verschludert. Selbst die Atemlosigkeit nicht. Michaelis Hommage an
    Thelonious Monks Well you need’nt ist ein Resümee, das in der eleganten und
    weitläufigen Stimmführung Weigonis paradoxerweise nicht wie Resignation,
    sondern als ideales psychisches Gleichgewicht daherkommt. Weigoni liefert den
    Beweis, wie klug das Textverstehen einer poetischen Performance sein kann. Wir
    Zuhörer sind geradezu angewiesen auf jemanden, der gekonnt rezitiert. In
    Düsseldorf arbeiteten Weigoni und Michaelis im Kunstakademie-Umfeld als
    Hörbuchpioniere, sie produzierten sogenannte LiteraturClips zu einer Zeit, als
    Marketingspezialisten den Claim Hörbuch noch nicht einmal erfunden hatten.
    Weigoni und Michaelis kommt damit das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren
    babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.



    ***


    Prægnarien, Künstlerbuch von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni, erhältlich über Werkstattgelerie Der Bogen, 02932 / 203 130


    Prægnarien, Hörbuch von Philipp Bracht, Frank Michaelis und A.J. Weigoni. Eine limitierte Auflage von 50 Exemplaren ist versehen mit einem Original von Haimo Hieronymus. Edition Das Labor, Mühleim an der Ruhr 2013


    Bilder der Prægnarien-Performanmce von Philipp Bracht und A.J. Weigoni sind hier zu sehen: http://www.editiondaslabor.de/blog/?page_id=12402


    Ein Video von Frank Michaelis und A.J. Weigoni hier: http://www.youtube.com/watch?v=_xE7BPCey68